Takako Doi wirft das Handtuch

Japans unbequeme Oppositionsführerin tritt vom Vorsitz der Sozialdemokratischen Partei zurück  ■ Aus Tokio Georg Blume

Nippons umstrittene Demokratie hat gestern ihr populärstes Gesicht verloren. Takako Doi, die charismatische Tokioter Oppositionsführerin, kündigte am Freitag ihren Rücktritt an. Sie will damit nach eigenen Aussagen die Verantwortung für die Niederlage ihrer Partei bei den Kommunalwahlen im April tragen. Doch dürften ihre Motive tiefer liegen. Doi verläßt die sozialdemokratische Parteispitze nach einem erbarmungslosen Flügelkampf, der vor wenigen Tagen mit einem Kompromißprogramm endete, das die Parteichefin offenbar nicht mehr vertreten will.

Vor der Presse sagte Doi freilich: „Die Reform der Partei ist jetzt erledigt. Deshalb muß nun auch der letzte Vorhang gezogen werden.“ Nach dem Wahldebakel der japanischen Sozialdemokraten im April, als die größte Oppositionspartei bei den Tokioter Stadtwahlen sogar hinter die Kommunisten zurückfiel, hatte die Partei eine Reformkommission eingesetzt, deren wichtigster Vorschlag heute die Anerkennung der japanischen Armee vorsieht. Bisher hatten Nippons Sozialdemokraten den Aufbau einer Armee, die inzwischen über den drittgrößten Militärhaushalt der Welt verfügt, abgelehnt.

Takako Doi, selbst Verfassungsrechtlerin, war bislang die vehementeste Verfechterin der pazifistischen Traditionen der Partei. Darauf beruhte freilich auch ein Teil ihres populären Erfolges in einer Nation, die in vielen Schichten weiterhin eine antimilitärische Grundgesinnung pflegt. Dies trat zuletzt während des Golfkrieges zu Tage. Regelmäßig gaben die Umfragen damals breite Mehrheiten im Volk gegen den Krieg bekannt, und doch stand im Parlament nur noch Takako Doi — allein auch unter Parteifreunden — bereit, die japanische Kriegsgefolgschaft gegenüber den USA zu kritisieren.

In gleicher Lage feierte Doi ihren historischen Wahlsieg, als die verbündeten Oppositionsparteien 1989 unter ihrer Führung erstmals seit dem Krieg eine nationale Mehrheit bei Parlamentswahlen erfochten. Doi schaffte es damals, vor dem Hintergrund anhaltender Polit-Skandale in der Regierungspartei eine ganz neue Wählerschaft für ihre Partei zu mobilisieren — nämlich die Frauen. 1989 entschieden sich 60 Prozent der Frauen für Doi und nur 30 Prozent der Männer; das aber reichte aufgrund der unterschiedlichen Wahlbeteiligung für den Sieg der Opposition. Doch handelte es sich 1989 lediglich um Oberhauswahlen. Bei den entscheidenden Unterhauswahlen unterlag Doi trotz großer Zugewinne im Februar 1990, als sich die seit Kriegsende regierenden Liberaldemokraten der Gefahr bewußt wurden und alle Reserven ausschöpften.

Niemals konnte Doi während ihrer fünf Jahre als Parteichefin auf die volle Unterstützung aus den eigenen Reihen bauen. Sie selbst kam 1986 als unabhängige Kompromißkandidatin an die Parteispitze. Wiederum beruhte ihr Erfolg auf dieser im japanischen Parteispektrum einmaligen Position. Doi stach ab wie eine Blume im grauen Feld der japanischen Politik. Statt wie ihre Kollegen in den Hinterzimmern der Parteien zu mauscheln, wählte sie das Fernsehen und andere öffentliche Bühnen als Foren für ihre politische Auseinandersetzung. Viele Genossen, denen die Führerschaft einer Frau ohnehin mißhagte, konnten da nicht mithalten. An ihrem Widerstand ist Takako Doi gescheitert.

„Es ist Zeit für neue Gesichter,“ bemerkte die noch bis Ende Juli amtierende Parteichefin mit strenger Miene zum Abschied. Im Herzen dürfte sie dabei gelacht haben. Denn die neuen Gesichter, die die japanischen Sozialdemokraten nun zu bieten haben, sind die alten — trockene Bürokratenmienen, die sich von denen der Regierungspartei schon seit Jahrzehnten äußerlich nicht unterscheiden lassen. Schon hat der designierte Nachfolger, Makoto Tanabe, mit den Liberaldemokraten über punktuelle Koalitionsbündnisse verhandelt. Die noch nicht bestandene Feuerprobe der japanischen Demokratie, der Regierungswechsel, ist damit weiter entfernt denn je.