Über die Schwierigkeiten mit der Souveränität

Wenige Tage vor den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens laufen die Vorbereitungsarbeiten auf Hochtouren/ Noch immer wissen die beiden Republiken jedoch nicht, wie sie sich aus den Bundesorganen herauslösen können  ■ Aus Ljubljana Roland Hofwiler

Der Countdown läuft. Spätestens kommenden Mittwoch (am 26. Juni), oder auch schon früher, wollen die jugoslawischen Nordrepubliken Slowenien und Kroatien ihre staatliche Unabhängigkeit ausrufen. Wann genau, das ist „Staats“-Geheimnis. Die neuen „Staatsmänner“ wollen den exakten Zeitpunkt nur wenige Stunden vor dem historischen Akt den Bürgern mitteilen. Man könne ja nie wissen, ob nicht noch im allerletzten Augenblick die Voksarmee zu putschen versuche oder die Belgrader Bundesregierung mit Provokationen die „Staatsfeiern“ zu unterlaufen versuche. Und überhaupt läge es nur an der starren Haltung der Bundesorgane und des Auslandes, daß nichts mehr nach Plan laufe.

Obwohl mittlerweile selbst ernstzunehmende Umfragen belegen, von Tag zu Tag schwinde in beiden Republiken die Begeisterung an den Plänen der Eigenstaatlichkeit, halten die Politiker eisern an etwas fest, das sie nach den ersten freien Mehrparteiwahlen vor einem Jahr den Wählern versprachen, aber nicht zu halten wissen. Gewann in Slowenien das bürgerliche Mehrparteienbündnis Demos gegen die bisher allein regierenden Kommunisten mit dem Slogan „Slowenien — ein freies Volk in einem freien Staat“, so gewann in Kroatien die „Kroatisch Demokratische Gemeinschaft“ des jetzigen Präsidenten Franjo Tudjman mit einem stark nationalistisch ausgerichteten Programm.

Anfangs lief alles bestens. Nach Jahrzehnten sozialistischer Herrschaft wurden erstmals wieder nationale Wahrzeichen wie historische Wappen, Fahnen und eine Nationalhymne erlaubt. Die katholische Kirche erlebte in beiden Republiken eine ungeahnte Renaissance, politische Emigranten konnten erstmals wieder ihre Heimat besuchen. Doch damit hatte es sich dann auch. Die Wirtschaft ging nach der Wende auch in den verhältnismäßig reichen Republiken auf Talfahrt, die Reprivatisierung geriet ins Stocken, Westfirmen begannen in viel geringerem Umfang als erwartet zu investieren, und der allergrößte Traum, der Traum der Eigenstaatlichkeit, wurde durch nationalistische Unruhen und einem Dutzend zu beklagender Toten empfindlich gestört.

Tiefe Ernüchterung griff schließlich um sich, als der angesehene slowenische Wirtschaftsexperte Minister Dusan Sešok vor drei Wochen auf einer Parlamentssitzung erklärte, am 26. Juni ändere sich gar nichts. Weder eine eigene Währung werde in Umlauf gebracht, noch eine eigene Nationalbank gegründet. Angekündigt wurde bisher allein die Errichtung von acht Kontrollstellen entlang der Grenze zur Nachbarrepublik Kroatien. Auf Reisepässe werde man jedoch noch Jahre warten müssen, der „Abzug“ der Bundesarmee dauere mindestens drei Jahre, eine internationale Anerkennung stehe in den Sternen.

Ein Kartenhaus brach zusammen. Die Empörung war groß. Sešok wurde in den Reihen der Demos-Koalition plötzlich als „Volksverräter“ verunglimpft, der Führer des „Demokratischen Bundes“, Außenminister Dimitri Rupel kündigte den Bruch mit dem Demos-Bündnis an, sollte Sešok nicht seines Amtes enthoben werden, andere Spitzenpolitiker sprachen von einem „Dolchstoß im entscheidenden Augenblick“. Die Wogen schlugen so hoch, daß sich Sloweniens Präsident Milan Kucan mit einer Erklärung an seine Landsleute richtete: Er müsse dem Wirtschaftsminister beipflichten, von einer „effektiven“ Unabhängigkeit könne keine Rede sein, am 26.Juni werde man eine „normative Souveränität“ einleiten. Mehr nicht.

Die Slowenen sind seitdem verwirrt. Glaubt man dem Regierungsblatt 'Delo‘, so will mittlerweile nur eine hauchdünne Mehrheit von 55 Prozent, daß Slowenien seine „normative Souveränität“ erklärt. Bei einem Plebiszit im Dezember sprachen sich dagegen über 90 Prozent für einen eigenen slowenischen Staat aus. Die Empörung richtet sich gegen das Demos-Bündnis, denn nun ist klar, daß die Spitzenpolitiker handfeste Lügen verbreiteten. Noch vor kurzem hatten sie nämlich verbreitet, daß die neuen Geldscheine längst gedruckt seien und man nur aus Sicherheitsgründen nicht sagen dürfe, ob es sich bei der neuen Währung um Lipa, Dinar oder Klepoc handle. Später hieß es, Fälscherbanden hätten auf unerklärte Weise herausgefunden, wie das zukünftige slowenische Geld aussehe und seien bereit, Falschgeld in Umlauf zu setzen. Daher sei es durch den Reißwolf gezogen und mit einer neuen Druckversion begonnen worden. Diese Version steht derzeit im Raum. Doch kaum ein Slowene glaubt ihr. Denn nun kam auch ans Licht, daß die angeblich schon vorgefertigten slowenischen Reisepässe gar nicht existieren und man weiterhin mit den jugoslawischen Pässen ins Ausland zu Reisen hat.

Angesichts dieser Skandale tagt seit Mitte der Woche, in der zweiten „abtrünnigen“ Republik, in Kroatien, das Parlament in einer Dauersitzung, die erst am „Unabhängigkeitstag“ beendet werden soll. 65 Gesetze, die die Unabhängigskeitserklärung „verfassungsrechtlich“ sichern sollen, liegen zur Verabschiedung bereit. Doch bisher wurde man sich nur über ein einziges neues Gesetz einig. Es zeigt sich, daß die Kroatische Demokratische Gemeinschaft eher einer „Volksfront“ als einer handlungsfähigen Partei gleicht. Unzählige Flügelkämpfe und divergierende Ansichten brachten nicht einmal im Regierungslager Einheit, wie ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz aussehen und wie man den Aufbau einer eigenen Staatsbank voranbringen könnte. Ganz zu schweigen von der Frage, wie man eine Loslösung von den Bundesorganen und der Armee einleiten werde.

Wen wundert, das nun die Zeitungen in beiden Republiken die Politiker nur noch aufs Korn nehmen und fragen: Man stelle sich vor, die Unabhängigkeit kommt — und niemand bemerkt es. Nichts „bemerken“ will — und das empfinden die Betroffenen als schweren Rückstand — zumindest die internationale Staatengemeinschaft von den Freiheits- und Staatsträumen der Slowenen und Kroaten. Auf der gerade in Berlin zuende gegangenen KSZE-Konferenz beteuerten alle europäischen Staaten ohne Ausnahme, für sie komme nur ein einheitliches Jugoslawien in Frage.