„Lassen Sie es acht Jahre sein“

■ Wie lange bleibt Bonn in Bonn?

Dem Mann liefen Tränen über die Wangen. So viele Jahre sei er nun schon Saaldiener im Plenum des Bundestages. Nun werde er, noch vor der Pensionierung, seine Arbeit verlieren. Hätte der Saaldiener mit einigen der hoch- und höchstrangigen PolitikerInnen gesprochen, die kurz nach der Entscheidung vor dem Bonner Wasserwerk herumstanden, so wäre er vermutlich beruhigt gewesen — gesetzt den Fall freilich, er hätte ihnen auch geglaubt.

Zum Beispiel Volker Rühe, Generalsekretär der CDU: „Lassen sie es acht Jahre sein, acht Jahre sind wir alle noch mindestens hier in Bonn“, beschied er der taz. Vermutlich, so Rühe, werde es noch ein paar Jahre länger dauern, denn: „Für einen früheren Zeitpunkt ist Berlin nicht gerüstet. Und Sie glauben doch nicht, daß wir in alte Stasi-Gebäude einziehen.“ Ganz unideologisch sah Lutz Stavenhagen, Staatsminister im Bundeskanzleramt, den anstehenden Umzug: „Das schaffen wir einfach vor Ablauf von acht bis zehn bis zwölf Jahren nicht.“ Friedrich Bohl, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, präsentierte seine Sicht der Entwicklung so: „Sie und ich werden hier ein knappes Jahrzehnt lang nicht alleine sein.“

Ganz anders sahen die Zukunft am späten Donnerstag abend eine weitere Spezies von Bonner Auguren: die Journalisten. Was die Politiker da vorhersagten, sei falsch und solle nur beruhigen, hieß es. Natürlich werde alles viel schneller gehen. Nach und nach fände alles Wichtige und Spannende in Berlin statt... Drei Jahre sei man „sicher“ noch in Bonn, vier bis fünf Jahre „wahrscheinlich“ und in sechs bis acht Jahren „garantiert drüben“.

Den Saaldiener hätte nach diesen Prognosen vermutlich nur noch trösten können, was Bundesbauministerin Irmgard Adam-Schwaetzer zu später Stunde in der Kantine des Bundestages erzählte. Sie gehe davon aus, daß noch etwa zehn Jahre lang alles Wichtige in Bonn stattfinde. Das sei aber beileibe nicht nur ihre persönliche Meinung. Da sie am frühen Freitag morgen im Deutschlandfunk ein Interview geben müsse, in dem sie „offiziell die Zeitschiene lege“, habe sie sich gerade eben noch beim Kanzler rückversichert: „Ich geh' davon aus, daß wir noch mindestens zehn Jahre hier sind, hab' ich ihm gesagt und gefragt, ob er das für realistisch hält, damit ich das im Radio auch so verbreiten kann. Er hat eindeutig geantwortet. Mit ja.“

Der Berlin-Antrag, den der Bundestag am Donnerstag billigte, sieht folgenden Zeitplan vor: Spätestens ab 1995 soll der Bundestag in Berlin voll arbeitsfähig sein. Die Regierung wird dagegen erst nach zehn bis zwölf Jahren voll in Berlin „funktionsfähig“ sein. Der Bundestag erwartet, daß der „Kernbereich der Regierungsfunktionen“ in Berlin angesiedelt wird. Ein Teil der Verwaltung soll dennoch in Bonn bleiben. Dem Bundesrat empfiehlt der Bundestag, weiterhin in der alten Hauptstadt zu tagen. Ferdos Forudastan, Bonn