Hauptstadt der Bescheidenheit

■ Berlin muß sich erst an seine neue Rolle gewöhnen, und die Landespolitik schwankt zwischen nationalem Pathos und lokalen Interessen. Die Landesregierung will die Olympiade behalten und setzt auf Zusammengehen

Hauptstadt der Bescheidenheit Berlin muß sich erst an seine neue Rolle gewöhnen, und die Landespolitik schwankt zwischen nationalem Pathos und lokalen Interessen. Die Landesregierung will die Olympiade behalten und setzt auf Zusammengehen Berlins mit dem Land Brandenburg.

Eigentlich waren sich die beiden Koalitionspartner gar nicht mehr so recht wohlgesonnen in letzter Zeit. Doch als die Entscheidung zugunsten Berlins im Fernsehen verkündet wurde, fielen sich der sozialdemokratische Fraktionschef Ditmar Staffelt und sein Kollege von der CDU, Klaus Landowsky, vor Freude in die Arme. Vergessen schien der Regierungsstreit um die Landesfinanzen und die Polizeiführung. Ob alternativ oder konservativ, im Rathaus Schöneberg gab es am Donnerstag abend keine Parteien mehr, sondern nur noch Berliner. Doch zwölf Stunden später ließ die Einigkeit bereits nach. Der Senat und die Fraktionen berieten über die Konsequenzen der Bonner Entscheidung — und kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Grünen/Bündnis 90 wollen den Rheinländern, zum Ausgleich für den verloren gegangenen Regierungssitz, die Olympischen Spiele im Jahre 2000 andienen, als Zeichen einer neuen „Hauptstadt der Bescheidenheit“. Doch, trotz allem Mitgefühl, soweit geht die Solidarität der Landesregierung mit dem gebeutelten Rheinland nun doch nicht. Dem Regierenden Bürgermeister ist die Olympiade „Bestandteil eines integrierten Konzeptes für die Stadt", und CDU-Fraktionschef Landowsky hält einen solchen Vorschlag erst gar nicht für diskussionsfähig. Die Bonner werden, bei allem Beistand den man ihnen versichert, auf die Beschlüsse des Bundestages verwiesen, wonach Teile der Verwaltung am Rhein verbleiben sollen. Die „neue Verwaltungshaupstadt Bonn“, wird nach Einschätzung Eberhard Diepgens, ein Schwergewicht der Arbeitsplätze behalten. Er sicherte zudem der alten Bundeshauptstadt zu, daß man sich am vorgegebenen Zeitrahmen halten will, wenn Berlin „die Staffette aus Bonn übernimmt“. Zwar könne Berlin viel schneller Bürogebäude hochziehen, doch solle der endgültige Umzug erst in zehn bis zwölf Jahren abgeschlossen sein. Wobei Diepgen sich fragt, ob dann Teile der jetzigen Regierung, wie das Verteidigungsministerium, überhaupt noch dabei sind. Auch kann er sich vorstellen, daß einzelne Ministerien nicht in Berlin, sondern in Potsdam angesiedelt werden. Mit einer schnellen S-Bahn sei es schließlich kein Problem, die Verbindung zum avisierten Regierungszentrum in der Stadtmitte zu halten.

Dieser Vorschlag kommt sicher nicht ohne Hintergedanken. Denn mit der Entwicklung zum Regierungs- und Parlamentssitz wird die Stadt Berlin an Größe und Bedeutung gewinnen, das Bundesland Berlin jedoch seine nationale und internationale Bedeutung, die es bislang gehabt hat, einbüßen. CDU-Fraktionschef Landowsky grämte sich bereits gestern bei der Vorstellung, sich zukünftig nur noch mit der Gestaltung von Zebrastreifen und Parkbänken beschäftigen zu müssen und sah den Ausweg aus diesem Dilemma im Umland. „Es wäre jetzt der Zeitpunkt“, so sinnierte der CDUler, „Berlin-Brandenburg mit der Hauptstadt Potsdam zu planen.“ Allerdings gilt es, die Brandenburgischen Befindlichkeiten zu achten, die nicht nur durch Freude gegenüber Berlin geprägt sind. Landowsky will denn auch den Prozeß behutsam weitertreiben. Einen starken Verbündeten im Zusammengehen der beiden Länder haben die Berliner in Brandenburgs Ministerpräsidenten Manfred Stolpe. Der sieht in der Entscheidung für den Regierungssitz Berlin eine „Beschleunigung des Prozesses des Zusammenwirkens der beiden Länder“. Wie er Berlins Regierendem Bürgermeister Diepgen gestern erklärte, kann sich Stolpe beim Vereinigungsprozeß der beiden Länder einen „Parallelfahrplan“ mit der Verlegung des Regierungs- und Parlamentssitzes nach Berlin vorstellen. Das Land Brandenburg könnte dann auch von dem profitieren, was man zur Zeit in Berlin so herbei sehnt wie fürchtet: Eine Vielzahl von internationalen Konzernen wollen in Berlin Dependancen errichten, die Entscheidung des Bundestages hatte eindeutigen Signalcharakter. Schon macht das Bild der Megapolis die Runde, Politiker aller Parteien warnten gestern vor der drohenden Gigantomanie, wie sie andererseits die Investoren begrüßten.

SPD und CDU wollen mit einem Beschleunigungsgesetz bürokratische Hemmnisse bei Bewilligungs- und Planungsverfahren beseitigen, die SPD will jedoch keine Einschränkung der Bürgerbeteiligung hinnehmen. Beide Parteien setzen sich für einen forcierten Wohnungsbau und bezahlbare Mieten ein, die CDU will allerdings nicht nur den öffentlich geförderten Wohnungsbau gestützt sehen, sondern auch privaten Bauherren landeseigene Grundstücksressourcen bereitstellen. Auf mehr private Initiative setzt auch die FDP. Bis zum Ende des Jahres, so sieht es die Entschließung des Bundestages vor, soll eine „Arbeitsgemeinschaft Hauptstadt“ des Senats Konzepte für die Regierungsverlagerung entwickeln. Zudem wurde gestern eine „Arbeitsgemeinschaft Föderalismus“ ins Leben gerufen. Sie prüft unter anderem welche Bundesbehörden aus Berlin weg verlagert werden können. Von den Parteien wurden bereits gestern eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Einer jedoch wird den Bonnern erspart bleiben: Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, so beschied gestern der Regierende Bürgermeister, Eberhard Diepgen, ist für Bonn schlicht zu groß. Dieter Rulff, Berlin