piwik no script img

Aus inneren Archiven

■ Hans Otte spielte sein „Buch der Klänge“ / Katrin Rabus stellt Geräusche aus

„Hinter Rippen rieseln Schauer. Bilder lösen sich aus internen Geheimarchiven.“ Hans Otte, Einwohner endloser Klangräume, bei Rabus: Die kürzeste Nacht dieses Jahres.Foto: T.Vankann

Erwachsene, ernstzunehmende Menschen beginnen mit dem ganzen Körper zu schaukeln. Wo Augen nicht glänzen, sind sie geschlossen. Hinter Rippen rieseln Schauer. In Ohren sammeln sich Klänge, bis sie wegen Überfüllung schließen müssen. Bilder lösen sich aus internen Geheimarchiven, schweben hinter den Augenlidern vorüber. Harte Perlen kullern über den Boden und drängen sich zu aufgelösten Akkorden zusammen. Eine bebende Dissonanz macht Augen und Poren (Vergebung!) Fruchtwasser schwitzen.

Die kürzeste Nacht dieses Jahres gehörte für knapp 200 ZuhörerInnen in der Galerie Katrin Rabus dem großen Alten der Neuen Musik, Hans Otte. Aus Anlaß der Eröffnung seiner ungewöhnlichen Ausstellung, einer „KlangRaum-Installation“ - führte Otte

hierhin bitte

das dunkle Bild

mit Klavierspieler

seine zehn Jahre alte Komposition für Klavier, „Das Buch der Klänge“ auf, einen Klassiker der Neuen Musik. Befreit von melodischen Zwängen, lediglich mit einem transparenten rhythmischen Kostüm versehen, läßt Otte seine Klänge frei — „Die Klänge gehören sich selbst“. Läßt sie ihren Eigensinn finden.

Vom Eigensinn der Klänge

Man muß sich Keith Jarrett denken ohne pathetische Inbrunst, ohne Begleitgestöhn, mit dem lakonischen Selbstverständnis eines rieselnden Bachs. Oder eine minimalistische Musik ohne Kälte, mit Wissen um Verdauung und Herbst. Vegetative Musik. Otte fordert auf, sich seiner Musik gegenüber wie ein Baby zu

verhalten, dann „kommt sie freundlich zu Ihnen“. Wer hier erschrickt, ist selber schuld. Denn Otte weiß was von uns. Es sind die sublimen Harmonien seiner dissonanten Klanggebilde, die von uns erzählen.

Wenn es in Bremen eine Nische für Neue Musik gibt, verdankt sie ihre Existenz dem damaligen Musikchef von Radio Bremen ('59-'84), der auch das Festival pro musica nova begründete. Seit vielen Jahren experimentiert Otte mit Klang (vgl. taz-Interview vom 20.6.), Klang im Raum, Klang im Verhältnis zu Sprache, Körper, bildender Kunst, Theater. Seine Installationen und Environments sind auf den großen Neue-Musik- Veranstaltungen verteten.

In den großzügigen Räumlichkeiten der Galerie Rabus kann man einen Überblick über Ottes Arbeit gewinnen. Ein „Atemobjekt“ von 1972 (sich gegenseitig überholende Geräusche des Ein- und Ausatmens) ist ausgestellt. Ein „HochTonRaum“ macht akustische Grenzerfahrungen im Fledermausbereich möglich. Und im großen Saal der Galerie schwappen Röhren- und Glockengeräusche vermischt mit komplexe Klanggebilden und Sprachstücken aus einer Vielzahl von Lautsprechern. Da die 24 Tonspuren nie völlig synchron laufen, kommt es immer wieder zu neuen, sehr suggestiven Schwebungen und Frequenzgemischen. Immateriell gefüllt, entsteht bei Muße des Zuhörers ein Raum, der selbst zur Skulptur wird.

Die KlangRaum-Ausstellung läuft bis 1.September. Am Donnerstag um 20 Uhr geben Hans Otte und sein technischer Tausendsassa, Tonmeister Andreas Heintzeler, Auskunft über Hinter- und Abgründe der Klanginstallationen. In der Galerie, Plantage 13. Burkhard Straßmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen