piwik no script img

Die Massage ist die message

Wolfram Paulus' zweiter Spielfilm „Nachsaison“, 23.30 Uhr, ARD  ■ Von Manfred Riepe

Fällt das Wort „Heimatfilm“, so folgt darauf gewöhnlich die Assoziation trübe dahindämmernder Nachmittage mit Semmelknödeln, Sachertorte und Marischkas Sissi von der Mattscheibe direkt ins wehrlose Hirn. Wolfram Paulus' zweiter Spielfilm Nachsaison bietet da ein etwas frugaleres Vergnügen. Es geht nicht um Problemchen einer kindfraulichen Kaiserin der Donaumonarchie, sondern um den jungen Masseur Lenz (Albert Paulus), der in einem heruntergekommenen östereichischen Kurort zwischen harter Saisonarbeit und drohender Arbeitslosigkeit balanciert. Seine Einbrecher-Vergangenheit läßt ihn nicht los. Um die permanent desolate finanzielle Situation in den Griff zu bekommen, verhökert er von den Kurgästen geklaute Pelzmäntel und bricht mit seinem Kumpel Walter (Michael Reiter) auch schon mal ein.

Beim drahtigen Unternehmer Fussek (Günter Maria Halmer), der den maroden Kurort durch die Neueröffnung eines mondänen Luxushotels aufmöbeln will, bekommt Lenz einen leidlich bezahlten Job. Die Primaballerina (Mercedes Echerer) mit dem diffusen Fußleiden, für die der filigrane Muskelkneter bald täglich Hausbesuche machen muß, schätzt nicht nur die Reflexzonenmassage des zärtlichen Österreichers. Sehr schön fotografiert, diese Massage (The massage is the message). Die Wirkung dieser sehr ausführlich fotografierten Szenen ist darauf zurückzuführen, daß der Darsteller und Bruder des Regisseurs im Hauptberuf Physiotherapeut ist und die Sache daher wirklich kann. Die (Ver-) Spannungen, die in den sensiblen Muskeln der Pariser Tänzerin sowohl ge- als auch ausgelöst werden, kann der Zuschauer beinahe physisch nachempfinden.

Teuere Geschenke der Tänzerin versetzt Lenz sofort in der Pfandleihe, um einen immer rabiater werdenden Gläubiger zu besänftigen. Die Probleme, die er mit seiner ewig nörgelnden Frau Lisbeth (Daniela Obermair) hat, bleiben für nichtöstereichische Zuschauer allerdings schleierhaft, da die ARD es versäumt hat, den Film mit Untertiteln zu versehen.

Durch die schroffe, kantige Spielweise der bewußt eingesetzten Laiendarsteller bekommt der Film, der weitgehend auf musikalische Untermalung verzichtet, etwas tranceartig Karges. Eine interessante Mischung aus dokumentarischer Nüchternheit und immer wieder durchbrechender privaten Atmosphäre. So wird der Erzählstrang stets durch humorige Einlagen gebrochen. Etwa wenn wir minutenlang dem Kurorchester beim Stimmen zuhören, wobei mit dem ersten Takt unvermittelt auf das Kleinkind von Lenz und Lisbeth im Laufstall geschnitten wird.

Ein knochiger Humor, der sich aus der Lust an der Beobachtung von Details entwickelt, die für den Fortgang der Handlung unwesentlich bleiben. Und zu beobachten gibt es in diesem von Christian Berger hervorragend fotografierten Film eine Menge. Die für schnulzige Heimatschinken so typische Postkarten-Fotografie von Bergen und rauschenden Bächen wird immer wieder durch das Unspektakuläre des Verhandelten gebrochen. Kein erhabener Naturflash, sondern Knete auf dem notorisch gesperrten Konto der Alpensparkasse ist angesagt.

Nachsaison von 1988 ist der zweite Spielfilm des 1957 geborenen Österreichers Wolfram Paulus, der 1985 mit Heidenlöcher debütierte. In diesem mit dem bayerischen Filmpreis für die beste Nachwuchsregie, dem Bundesfilmpreis für Kamera und Regie sowie dem Wiener Filmpreis ausgezeichneten Film bestach Paulus bereits durch stilistische Sicherheit und eindringliche Schwarzweißfotografie. Mit seinem dritten Film, Die Ministranten vollendete er seine „Salzburger-Land-Trilogie“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen