Von Berlin nach Potsdam?

■ Die Diskussion um ein gemeinsames Bundesland Berlin-Brandenburg ist eröffnet

Der erste in ganz Berlin gewählte Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) könnte zugleich der letzte des Bundeslandes gewesen sein. Nur wenige Stunden nach dem „Schicksalsvotum“ für Berlin begannen in Berlin und seinem Nachbarland die Spekulationen über ein künftiges gemeinsames Bundesland Berlin-Brandenburg. Entgegen seiner bisherigen Zurückhaltung in dieser Frage erklärte der Ministerpräsident von Brandenburg, Manfred Stolpe (SPD), er wolle „in den nächsten eineinhalb Jahren“ eine Entscheidung herbeigeführt haben. Und auch Berlins „Regierender“ Diepgen, von jeher ein Anhänger des gemeinsamen Bundeslandes, ließ seine Lieblingsidee wiederaufleben. „Potsdam müßte dann die neue Landeshauptstadt sein“, so Diepgen, der mit diesem Vorstoß an seinem eigenen Stuhl sägt.

Denn soviel steht heute schon fest: Sollte es zu einem Zusammengehen der beiden Länder kommen, wird die Regierung ihren Sitz in Potsdam haben — als Ausgleich für die Bundeshauptstadt Berlin und die Angst der Brandenburger vor allzuviel zentralistischer Ballung. Und bei einer Fusion der beiden Länder hätte Berlin lediglich einen Oberbürgermeister wie München oder Stuttgart — und nicht mehr.

Jenseits dieses Aperçus, das lediglich die Berliner Politiker als Verlust erleben werden, liegt ein Zusammengehen vor allem aus ökonomischen und regionalplanerischen Gründen auf der Hand, ließen sich doch alle sattsam bekannten Nachteile der berüchtigten Speckgürtel um Stadtstaaten herum vermeiden. Zersiedelung des Umlandes durch ungleiche Steuersätze, eine weitere Verarmung der ohnehin strukturschwachen ländlichen Gebiete und eine Machtkonzentration in Berlin ohnegleichen wären leichter zu verhindern oder zumindest zu steuern als durch komplizierte Regelungen beispielsweise in einem Staatsvertrag.

Noch sind die Reaktionen auf die Pläne der Regierungschefs in beiden Ländern verhalten. Der Berliner SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt warnte von übereilten Entscheidungen, sein Kollege von der CDU, Klaus-Rüdiger Landowsky, erinnerte an „die Befindlichkeit der Brandenburger“. In der Praxis steckt die Kooperation zwischen beiden Ländern immer noch in den Kinderschuhen: Die Berliner sind beschäftigt mit dem Aufbau des Ostteils der Stadt, aber grundsätzlich interessiert an einer engen Zusammenarbeit. Bisher wurde vor allem von brandenburgischer Seite ein Bemühen nach verstärkter Kooperation blockiert. FDP und SPD, die beide in der Regierung sitzen, hatten sich in den letzten Wochen sogar dezidiert gegen ein gemeinsames Bundesland ausgesprochen. Dessen ungeachtet hat Stolpe parallel zum Umzugsplan der Bundesorgane eine enge Zusammenarbeit der beiden Länder gefordert. „Wenn die Berliner wieder in das Land Brandenburg zurückkehren wollen, könnte sich das ja in demselben Zeitraum abspielen wie der Umzug der Bundesorgane nach Berlin“, erklärt Stolpe in einem 'Spiegel‘-Interview, das heute erscheint.

Eine Entscheidung für ein gemeinsames Bundesland würde jenseits der Vorteile für die unmittelbar Betroffenen auch die Föderalismus- Debatte in der neuen Bundesrepublik neu beleben: Zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik würden einmal festgesetzte Ländergrenzen und einmal installierte Institutionen nachträglich revidiert oder aufgelöst. Nach dem Einigungsvertrag der ehemaligen beiden deutschen Staaten wurden, unter heftiger Kritik, die fünf neuen Kleinstländer gebildet, am 3. Oktober 1990 trat Berlin gewissermaßen als sechstes hinzu. Schon bei der Diskussion um die Neuordnung der DDR war abzusehen, daß die neuen Länder auf lange Sicht finanzschwach bleiben und am Tropf der reichen alten hängen werden. 1995 sollen die neuen Länder mit in den Bundesfinanzausgleich einbezogen werden und ihren gleichberechtigten Anteil an der Umsatzsteuer erhalten. Bis dahin haben die Neulinge laut Einigungsvertrag die Möglichkeit, sich freiwillig über neue Grenzen zu verständigen, andernfalls soll sich die Bundesregierung bis zum Ende des Jahrzehnts daran versuchen.

Die Länderparlamente von Berlin und Brandenburg könnten also selbständig über einen Zusammenschluß entscheiden. Daß die anderen Kleinstländer im Osten indes gleichziehen und möglicherweise drei funktionsfähige Ostländer übrigbleiben, ist dennoch zu bezweifeln, fehlt hier doch der unmittelbare Handlungsdruck, dem Berlin und Brandenburg jetzt ausgesetzt sind. Die Berliner müssen in jedem Falle lernen umzudenken: Nicht nur der Bund wird bei künftigen Planungen in der Hauptstadt ein gewichtiges Wort mitzureden haben, auch die Verlagerung der Landesregierung nach Potsdam führt zu einer weiteren Entmachtung der örtlichen Politprominenz. Warum das Berliner Abgeordnetenhaus, mit 241 Parlamentariern ohnehin im Vergleich zu anderen Länderparlamenten überbesetzt, immer noch plant, den ehemaligen Preußischen Landtag in der neuen alten Mitte der Stadt als neues Domizil zu nehmen (geplante Umbaukosten: knapp 60 Millionen Mark), bleibt als Frage stehen. Schon für einen Stadtstaat wäre dies ein pompöser Parlamentssitz, für ein Stadtparlament schlicht grotesk. Kordula Doerfler