„Das ist die Kulturlüge dieser Stadt“

■ Vertreter von Kulturinstitutionen und Gruppen nahmen Stellung zum „Aktionsprogramm 1992-1995“

60 Millionen Mark mehr will Bremen für Kultur ausgeben — so verkündete es der zuständige Senator Henning Scherf mit verständlichem Stolz in seinem „Kulturpolitischen Aktionsprogramm“: um ihn herum wird im Senat sonst nur über Kürzungen geredet.

Gestern versammelte sich die vom Geldregen betroffene Bremer Kulturszene zur Landespressekonferenz, um ihre Antwort zu geben. „Wir verstehen dieses in schlechtem Deutsch geschriebene Papier nicht“, bekannte der Rektor der Hochschule für Künste, Jürgen Waller, „die sollen sich schämen“.

Und dann versuchte er zu rechnen: Die 60 Millionen verteilen sich auf vier Jahre, bleiben pro Jahr nur 15 Millionen. 16 Millionen davon soll allein in die heruntergekommene Bausubstanz des Landesmuseums gesteckt werden — bleiben 11 Millionen pro Jahr. Der aktuelle 90-Millionen-Haushalt soll dabei nur um 2 Millionen steigen — alles andere sind Drittmittel. „Das ist die Kulturlüge dieser Stadt“, empört sich Waller. „Das ist weniger als die Inflationsrate“, rechnete Norbert Kentrup von der bremer shakespeare-company vor.

„Es wird nie soviel gelogen wie vor der Wahl“, fiel ihm Klaus Bernbacher (Landesmusikrat) ins Wort: „5 vor 12“ werde ein mit heißer Nadel gestricktes Papier veröffentlicht, „ohne daß vorher mit den Kulturschaffenden geredet wurde“. Monatelang hat die Behörde hinter verschlossenen Türen an dem Papier gearbeitet. Im Grunde würden in dem Papier „die Defizite von 20 Jahren versäumter Kulturpolitik aufgezählt“ und unter der Überschrift „Aktionsprogramm“ verkauft; Beispiel Orchester: Seit 1971 sei der Senat verpflichtet, 14 vorhandene Stellen zu besetzen, im „Aktionsprogramm“ sei diese alte Verpflichtung als Schritt nach vorn aufgelistet.

Beispiel Ausstellungsraum: Im Keller des alten Postamtes in der Langenstraße sollen Ausstellungsräume bereitgestellt werden, u.a. für das Fotoforum, („Herr Opper hat selbst die Lampen ausgesucht“), Grundausstattung dafür ist gleich Null. Über „Kataloge und Eintritte“ sollen sich die Ausstellungen finanzieren. Jürgen Waller schlägt mit beiden Fäusten auf den Tisch des Konferenzsaales im Rathaus: „Das ist hirnrissig, jeder, der was von Ausstellungen versteht, weiß, daß das nicht geht.“

Im Aktionsprogramm sind für die „Breitenkultur“ Stellen versprochen, aber nicht bei den Projekten. Gert Suchodolsky (Schlachthof): „Damit entscheidet die Behörde in letzter Instanz über die Einstellung!“ Steht da nicht das schöne Wort vom „kulturellen Eigensinn“ im Vorwort des Programms? „Das ist die Angst der Sozialdemokratie vor der freien Kultur.“

Zwei Millionen allein jährlich sollen laut „Aktionsprogramm“ für ein Kulturbüro ausgegeben werden. „Eine neue Bürokratie?“ fragt Kentrup. Ein „absolut absurder Vorgang“, die Kulturgruppen müssen ihre Aktivitäten mit ABM-Stellen organisieren, ohne mit ihnen zu reden soll ein staatliches Kulturbüro sie nun „vernetzen“ oder was? „Bitte kein neues Organisationsbüro über uns alle drüber“, wirft Jürgen Müller-Othzen (freiraum- theater) ein, „es gibt eine Reihe von funktionierenden Kulturbüros“ auf ABM-Basis, warum man die nicht stärke? Oder, fragt Müller-Othzen: „Soll hier wieder eine Stelle für einen verdienten Genossen geschaffen werden?“

500.000 Mark sollen als „Planungsfonds“ zur Verfügung stehen. Für wen?? Bremen soll „Musikstadt“ werden, steht in dem Papier. Die Musik-Szene rätselt, was das bedeuten könnte. Bei „500.000 Mark Planungsfonds“ steht als Beispiel „Musikfest“. „Man kann nicht alles durch die Musikfestbrille sehen“, findet Bernbacher.

Immer wieder taucht im Aktionsprogramm das Wort „vernetzen“ auf. Wo es konkret wird, schimmert der Eindruck durch, die Behörde wolle alles „alles in der Hand behalten“. Scherf, der Oberkommunikator? „Ein Quatschkopf mit kosmischem Ausmaß“, sagt Bernbacher erbittert.

„Hier soll Wahlkampf auf unserem Rücken betrieben werden“, faßt Norbert Kentrup den Eindruck der Kultur-Szene zusammen. Und da will man sich wehren: Im Wahlkampfmonat September soll es Schlag auf Schlag gehen — ein „Wahlkampf für Kultur“. K.W.