Bonn denkt an Berlin-Steuer

■ Aber der Bund will den Umzug von Bonn nach Berlin nicht alleine bezahlen/ Waigel und Lambsdorff schließen höhere Steuern für den Umzug nicht mehr aus/ SPD verlegt ihre Baracke nach Berlin

Bonn/Schwerin (dpa/ap/taz) — Neue Steuererhöhungen sind offenbar vorprogrammiert. Die Bundesregierung plant nach den Worten ihres Sprechers Dieter Vogel zwar „zur Zeit“ keine Steuererhöhung zur Finanzierung des Umzuges von Parlament und Regierung nach Berlin. Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) und der FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff schlossen jedoch Steuererhöhungen nicht mehr aus. Er könne nicht sagen, „was das nun genau kostet und ob dafür Steuererhöhungen nötig sind oder nicht“, sagte Waigel. Vor dem CSU-Vorstand in München wandte er sich gegen Diskussionen über Steuererhöhungen. Er halte es „nicht für sinnvoll, daraus jetzt sofort eine Steuerdebatte zu machen“. Gleichzeitig betonte Waigel jedoch, daß der Bund nicht alle Umzugskosten allein tragen könne. Seiner Ansicht nach werde eine Beteiligung der Länder an der Finanzierung der Regierungsverlagerung von Bonn nach Berlin notwendig werden.

Auch der FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff schließt Steuererhöhungen nicht aus. Ob die Steuern aber wirklich angehoben werden müssen, sei jetzt nicht zu übersehen, sagte Lambsdorff nach einer Sitzung des FDP-Präsidiums. Dies hänge von den Kosten des Umzuges ab, die derzeit niemand beziffern könne. Alle Zahlendiskussionen seien gegenwärtig „völlig sinnlos“.

Bundeskanzler Kohl kündigte unterdessen eine zügige Umsetzung des Bundestagsbeschlusses an, wobei sich die Bundesregierung aber nicht unter Zeitdruck setzen lasse. Eine Zeitachse von zehn bis zwölf Jahren für den völligen Umzug sei „unabdingbar“, sagte Kohl. Bei sämtlichen Planungen und Entscheidungen müsse ein Höchstmaß an Solidarität mit der Region Bonn und vor allem den Bundesbediensteten gewahrt werden. Am morgigen Mittwoch will das Bundeskabinett eine Arbeitsgruppe einrichten, die die Planungen zur Umsetzung des Bundestagsbeschlusses in die Hand nehmen soll. Ein Sprecher der Stadt Bonn gab zu, daß die Stadt sich bisher keine Gedanken für den Fall gemacht habe, „wenns daneben geht“. Auch Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth verlangte eine „seriöse, umfassende und auch die sozialen Belange der Betroffenen berücksichtigende zeitliche Planung, in der die Ausgleichsmaßnahmen für Bonn und seine Region konkret benannt werden“.

Die Sozialdemokraten haben mit den Planungen für eine Verlegung ihrer Parteizentrale von Bonn nach Berlin begonnen. Der Umzug solle spätestens dann vollzogen sein, wenn auch Parlament und Bundesregierung ihren Sitz in Berlin genommen haben. Dies beschloß gestern in Schwerin der SPD-Parteivorstand. Parteichef Björn Engholm forderte Finanzminister Theo Waigel auf, ein „ungeschöntes und realistisches“ Konzept über die voraussichtlichen Kosten vorzulegen. Nach Ansicht Engholms steht Deutschland aufgrund des Parlamentsvotums vor einem „Jahrzehnt der Umverteilung“. Die Sogwirkung an die Spree habe bereits in vollem Umfang eingesetzt. Auch in den alten Bundesländern würden viele noch „ihr blaues Wunder erleben“, wenn von dort Einrichtungen in den Osten verlegt würden, so Engholm.