Europa und die 40-Tonner

■ Das geplante Abkommen von EG und EFTA über einen "Europäischen Wirtschaftsraum" kann heute doch nicht paraphiert werden; die Minister suchen weiter nach einem Kompromiß. Hauptgrund: Die Schweiz will keine...

Europa und die 40-Tonner Das geplante Abkommen von EG und EFTA über einen „Europäischen Wirtschaftsraum“ kann heute doch nicht paraphiert werden; die Minister suchen weiter nach einem Kompromiß. Hauptgrund: Die Schweiz will keine schweren Brummis in ihren Alpentälern.

Auf den Fisch sei er gekommen, der Europäische Wirtschaftsraum (EWR), klagte ein frustrierter Unterhändler vergangene Woche in Luxemburg. Das gigantische Geschachere um Fischereigründe, Absatzmärkte und Transitgenehmigungen stinke ihn furchtbar an. Das Schlimmste daran aber sei, daß es kein Ende nehme. Denn der für heute festgesetzte Termin zur Paraphierung des Abkommens in Salzburg mußte verschoben werden. Frühestens am 1. August werden die Chefunterhändler das umstrittene Vertragswerk abhaken können, mit dem der weltgrößte Binnenmarkt aus der Taufe gehoben soll. Im Herbst ist dann die feierliche Unterzeichnung durch die Außenminister vorgesehen. Bevor der Traum eines Supermarkts vom Eismeer bis Gibraltar mit 370 Millionen Konsumenten allerdings Wirklichkeit werden kann, müssen dann noch die Parlamente der Mitgliedstaaten ihr Plazet geben. Parallel zur Eröffnung des EG-Binnenmarkts am 1.1. 1993 soll es dann soweit sein: Zwischen den zwölf EG- und den sieben EFTA-Ländern Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Schweden, Norwegen, Finnland und Island werden die Grenzen für Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital fallen. Daß es tatsächlich soweit kommt, dafür wollen EG-Außenhandelskommissar Andriessen, der luxemburgische Außenminister und EG-Ministerratsvorsitzende Poos zusammen mit den Ministern der EFTA-Staaten heute in Salzburg sorgen. Schließlich sind noch einige „Details“ zu klären.

Neben dem Dauerbrenner Alpentransit (siehe Artikel unten) war vor allem der Streit um die Fische im Nordmeer Anlaß, die Paraphierung zu verschieben. Besonders der Inselstaat Island lehnt auch weiterhin eine Öffnung seiner Fischereigründe ab. Widersacher sind in dieser Frage die Spanier. Sie fordern leichteren Zugang ihrer Fangflotten zu den nordischen Fischgewässern — im Ausgleich für die Möglichkeit der Isländer und Norweger, ihre Fischereiprodukte innerhalb der EG frei abzusetzen. Dieses Ansinnen hält der isländische Außenminister Hannibalson für „absurd“. Wenn dieses Prinzip Anwendung fände, müßten die Isländer schließlich im Austausch für den freien Zugang spanischer Orangen auf ihre Märkte Obstplantagen in Spanien betreiben dürfen. Um das Freihandelsabkommen trotzdem zu retten, hat die norwegische Regierung inzwischen ein Zugeständnis gemacht: 20.000 Tonnen Fische sollen die EG-Flotten fangen dürfen — in Gewässern, die zum Teil jedoch von der Sowjetunion beansprucht werden. Ähnlich bizarre Formen nimmt auch das Geschachere um die Alpentransitpermits an. Dabei stehen jedoch weniger Umweltgesichtspunkte im Mittelpunkt, wenn Abgasprozente hochgerechnet oder zwei- gegen dreistellige Lastwagenfahrten gestellt werden. Vielmehr schreibt das Schweizer Aushängeschild „Swiss Air“ rote Zahlen. Helfen können soll da allein der freie Flug innerhalb Europas, den die EG allerdings von Zugeständnissen in der Alpentransitfrage abhängig macht. Eingekeilt zwischen einer drohenden Volksabstimmung über den EWR und den Forderungen der EG, setzt die Berner Regierung auf Zeitgewinn. Gleiches gilt für die Wiener Regenten, die erst einmal zwei wichtige Regionalwahlen im September abwarten wollen, bevor sie mit dem EWR Ernst machen. In Wien betrachtet man den Wirtschaftsraum eh nur als Übergangslösung. Bereits Ende 1994 wird Österreich Mitglied der EG sein, prophezeite der österreichische Außenminister Mock schon vor einem Jahr. Ähnliches gilt für Schweden, das am 1.Juli seinen offiziellen Antrag stellen will. Stärker noch als in Schweden, wo nach letzten Umfragen inzwischen eine Mehrheit der Befragten für einen EG-Beitritt ist, greift in Norwegen und Finnland Torschlußpanik um sich. Auch Polen, Ungarn sowie die CSFR wollen lieber heute als morgen dem Club der reichen Europäer beitreten.

Bislang hatte sich die EG gegenüber Neuaufnahmen abweisend gezeigt. Erst müsse die Zwölfer-Gemeinschaft ihre internen Strukturen festigen, lautete die Standardformel des EG-Kommissionspräsidenten Delors. Er bezog sich damit auf die Schaffung des einheitlichen Binnenmarktes bis Ende 1992. Erst danach könnten Neuaufnahmen erwogen werden. In der österreichischen Regierung wertete man diese Formel als Hinhaltetaktik Delors, weil inoffiziell damit gerechnet wird, daß sich der Binnenmarkt bis zum Jahr 2000 hinzieht. Statt einer EG-Mitgliedschaft hatte Delors den EFTA-Ländern die Teilnahme am EWR angeboten, und der bedeutet EG-Binnenmarkt minus gemeinsame Landwirtschafts- und Handelspolitik minus die angestrebte Wirtschafts-, Währungs- und politische Union. Wesentlicher Vorteil für die EG: Die EFTA-Länder haben kein Mitspracherecht in EG-Angelegenheiten, müssen aber alle EG-Gesetze übernehmen. Lediglich Konsultations- und Informationsrechte werden ihnen eingeräumt. Immerhin: Falls den EFTA-Ländern die EG-Entscheidungen über den zukünftigen Superwirtschaftsraum nicht passen, können sie sie ablehnen — allerdings nur im Kollektiv, und sie müssen mit Gegenmaßnahmen der EG rechnen. Durchgesetzt haben sich die Brüsseler auch bei den von den EFTA-Staaten geforderten Ausnahmeregelungen — beispielsweise im „wettbewerbsbehindernden“ Umweltschutz (siehe Kasten). Daß es aber in dieser „gleichberechtigten Partnerschaft“ mit rechten Dingen zugeht, darüber soll ein gemeinsamer Gerichtshof wachen..., in dem die EG-Richter die Mehrheit stellen. Selbst eine demokratische Zierde wurde nicht vergessen: Vertreter der nationalen Parlamente und des Europaparlaments sollen den Europa-Lenkern von EG und EFTA auf die Finger gucken — angesichts der vielbeklagten Ohnmacht des Europäischen Parlaments gegenüber der EG-Kommission ein absurdes Unterfangen. Michael Bullard, Brüssel