Tödliches Zirkelspiel

■ Zwei Stücke von R.W.F. / Die Berliner Bühne in der Wabe

Das »antiteater« (sic!) Rainer Werner Faßbinders und seiner Clique war von Anfang an ein Produkt der 68er-Studentenbewegung. Ein rebellisch gemeinter Beitrag zur Schwabinger Subkulturszene, realisiert im Hinterraum einer Schmuddelkneipe. Ein gnadenloser Versuch, sich mit allen Mitteln einer spontanen Anti- Kunst gegen die hehren Unmoralitäten der Väter aufzulehnen.

Mit launiger Feder skizziert und mit lauter Gruppenimprovisation aufgefüllt entstand so eine Reihe von szenischen Collagen und Minigeschichten: bürgerschreckliche Aufklärung und zynische Initiierung aufbegehrender Bewußtseinsakte als vordringliche Aufgabe. Ein in grell überbelichteten Szenen geprobter Aufstand, dessen erstes Angriffsziel die kleinbürgerliche Spießerseele war.

In »Anarchie in Bayern« darf sich ein kühner Traum linker Rebellionshoffnung linkisch ausleben: der Freistaat wird kurzerhand von einer kleinen Schar junger Anarchisten okkupiert und zur SAB, Sozialistische Anarchie Bayern, erklärt. Die »Familie Normalzeit« wird in die Pflicht genommen und muß — ob sie will oder nicht — die anarchistische Lebensweise üben.

Das gelingt — wen wundert's — nur recht und schlecht: die so plötzlich ausbrechende sexuelle Freiheit überfordert die treue Liebe kläglich, und auch auf dem Amt stehen die ratsuchenden Bürger weiter brav in einer Wartereihe hintereinander — die verfügte Pflichtlosigkeit wird wieder er- noch begriffen. Das wendet sich auch gegen die Revolutionsmacher. 1968 stand auf dem Theaterzettel des »antiteaters«: »Anarchie in Bayern richtet sich gegen eine Revolution auf die Schnelle, plädiert für einen langen Marsch, eine Revolution im Bewußtsein der Revolutionäre zuerst und der Bürger.«

Vielleicht wollte die Berliner Bühne mit ihrer Neuauflage des Faßbinder-Stücks ein Resumée jüngster Revolutionserfahrung bewerkstelligen, doch die Inszenierung von Thomas Bartholomäus verliert sich in einer groß angelegten Rauminstallation, die alle möglichen Bezüge und subversiven Feinheiten unscharf werden läßt. Die gewaltige Metaphorik des Raumes ist allein auf die lahme Konfrontation von Publikum und einzelnem Zuschauer angelegt. Im nur spärlich dekorierten Tanzraum der Wabe sitzt das Publikum auf der vertieften runden Tanzfläche in der Saalmitte, im wilden Arrangement der Stühle. Unfreiwillig zum Wendehals verurteilt kann es verfolgen, wie das Stück vor allem dadurch in Bewegung gehalten wird, daß Gedanken und Gefühle in motorische Rundläufe übersetzt werden.

Wie um zu beweisen daß der Formalismus Varianten hat, wird noch Faßbinders »Preparadise sorry now« angehängt: eine düstere Abrechnung mit der naiven Utopiegläubigkeit, mit der das Living Theatre einstmals ihre Spontanforderung »Paradise now!« zelebrierte. Anstelle einer mescalindurchtränkten Selbstbefreiungsfeier schuf Faßbinder ein mit dem rationalen Zirkel ausgemessenes Dialogspiel, um damit faschistoide Verhaltensrituale böse auszustellen.

In der Wabe sitzt das Publikum nun außen, und die Schauspieler laufen im Kreis ihre harmlosen Wege ab. Ein blutleeres Geplänkel, dem man nur noch mit wachsender Ungeduld zu folgen vermag.

Tödliches Theater; nicht alle Zuschauer der zweiten Vorstellung hatten die Geduld, bis zur letzten Zuckung auszuharren. baal

HEUTEUNDMORGENUM20.00INDERWABE