Der Mann mit dem großen Auge

■ Gordian Troeller, weltreisender Dokumentarfilmer (“Kinder der Welt“), war wg. Schneidetermin in Bremen

Da sitzt ein kleiner Mann und ist es wirklich: Gordian Troeller. Einer, der um Himmels willen nicht auf sich verweisen will. Ob er die Kamera so nebenbei hält wie das Aktentäschchen unter'm Arm? Wär' ihm zuzutrauen, schließlich soll auch beim Filmen von Wirklichkeit keiner Notiz von ihm nehmen.

Trotzdem ist Troeller, Luxemburger, auch in Wirklichkeit schrecklich bescheiden und es wundert ein wenig, daß er in den Wüsten der Welt haust und mit sämtlichen Guerilla-Führern auf du und du ist: Sind das denn nicht grobe Knochen und er ein so zarter Herr? Wahrscheinlich wieder so ein Vorurteil und überhaupt eine Kategorie, sowas liebt er gar nicht und deswegen sagt er auch nicht, wie alt er ist. Nicht wegen Eitelkeit, sondern weil dann alle denken: soundso alt, aha.

Gordian Troeller ist eine kleine Dokumentarfilm-Legende und einer von der Sorte „aussterbender Anarchotyp“. Kosmopolit sowieso. Man sagt ihm nach, mit 17 Weltenbummler geworden zu sein, wie wird man das? Naja, man will gegen den Nationalsozialismus kämpfen. Und das einzig Seriöse, was ihm einfällt, werden zu wollen, war Kommunist. Also läuft er von zu Hause fort und hin nach Spanien in den Bürgerkrieg, eher kein Weltenbummel. Im Zweiten Weltkrieg schlägt er sich auf die Seite der Franzosen, baut eine Flüchtlingsorganisation auf, wird schließlich Korrespondent einer kanadischen Zeitung und Berichterstatter der Nürnberger Prozesse.

In den 50er Jahren geht er als Korrespondent, mittlerweile für 60 Zeitungen, nach Persien: Mossadegh verstaatlicht das Erdöl, da will er dabei sein. Warum? Weil was passierte? Um nachzusehen, wo das Interessanteste ist. Hat er ein Freiheitsgefühl? Oja, sagt er still, das wird er nie ablegen, nie. Zehn Jahre hat er für den Stern geschrieben und fotografiert, aber im Vertrag stand, daß er an keiner Redaktionssitzung teilnehmen muß — dummes Rumgequatsche!

Gordian Troeller, ohne AltersangabeFoto: TRistan Vankann

Jedenfalls: das mit dem Bildermachen hat angefangen, als eines Tages Mossadegh zu ihm und seiner Lebensgefährtin Marie-Claude Deffarge, Archäologin, sagt: „Mensch, Kinders, macht doch mal einen archäologischen Führer durch Persien“. Okay. Sind sie 26 000 km rumgegurkt und haben jeden Stein fotografiert. Bis ein befreundeter Stammesfürst ihnen vorwirft, sich nur für die Vergangenheit zu interessieren

hierhin bitte

den Mann mit

Zigarette

und nicht für die Misere der Bauern. Also Job hinschmeißen und sechs Monate mit dem Stamm durch die Gegend ziehen. Seitdem mißtraut Troeller dem eurozentristischen Blick. Wie ist seiner? Einer, der auf Akzeptanz beruht. Und wohl auch auf Eintauchen in das Fremde.

Bald ist Troeller klar: Fotos lügen, weil sie nur einen Bildausschnitt zeigen, erst beim Filmen sieht man die Ränder, den Dreck.

Also filmt er. Niemals würde Troeller Wirklichkeit nachstellen. Oder mit Kunstlicht und Stativ anrücken; auch nie allein, nur als Paar. Damit da nicht das Fernsehen kommt, sondern ein Paar, das auch filmt.

Technik ist ihm herzlich egal. Scharfstellen und Knopp drücken reichen doch. „Mann mit dem großen Auge“ nennen ihn die Leute von Afrika bis Arabien. Es gibt keine Guerilla, über die er nicht berichtet hat. Was ist mit Angst? Doch, ja. Die Kugeln, die ihm in Biafra um die Ohren pfiffen, oder das preschende Nashorn, wo nur noch helfen konnte, sich hinzustellen und zu sagen: Ich bin ein Baum, ich bin ein Baum. Mach' das mal! Hat er gemacht!

Ist er ein guter Mensch? Oh Gott, hoffentlich denk' ich das jetzt nicht von ihm. Aber was will er eigentlich? Besessen aufklären? Ist er ein Abenteuertyp? Ach nein, eher ist es der Heidenspaß, in einem Dorf zu sitzen, mit Leuten zu reden, da akzeptiert werden und uns von der Welt ein Bewußtsein schaffen. Auch von den „Kindern der Welt“ (Radio Bremen), Nachfolgeserie der „Frauen der Welt“, für die er von der deutschen Frauenbewegung zur „Ehrenhexe“ ernannt wurde. Wenn man gegen Kolonialismus ist, muß man auch gegen das Patriarchat sein! Sagt das so, rührt mit einem Brillenbügel im Mittagssekt und glaubt, sein damaliges „Pamphlet gegen die Männerherrschaft“ würde heute keiner der Herren Chefredakteure mehr senden.

Journalismus als Opposition: Nie hat er Rücksicht genommen auf herrschende Meinungen und ist deshalb mehrerer Länder verwiesen worden. Was er am meisten haßt: Botschafter, Korrespondenten, Touristen. Glaubt er an die Zukunft seines Genres? Ach Gott, die Zeit setzt auf Action-Dokumentation und Voyeurismus. Wo Spiegel-TV lieber Neo-Nazis besoffen macht, um die Randale bzw. Action zu sichern, kriechen bei ihm eben nur langsam ein paar Kinder durch's Bild, und dazu muß man sich so klein machen wie sie, kann man ja nicht von oben filmen. Claudia Kohlhase