Rom — nach der Implosion und Explosion nun ein Plan nach Maß?

■ Traditioneller Sog ins Zentrum/ Mit dem Projekt »Roma capitale« und dem »Sistema direzionale orientale« sucht die Ewige Stadt eine ökologische Entzerrung zu realisieren

Rom. Es soll diesmal, endlich, alles ganz anders werden. Der große Wurf sozusagen: Eine Hauptstadt will umziehen — eine Hauptstadt, deren Infrastruktur und innerer Kontext derzeit so verworren sind, daß selbst die zu Hilfe gerufenen, weltweit anerkannten Urbanistiker aus Japan, Frankreich und Deutschland keine Hoffnung mehr sahen. Sie will hinaus aus dem historischen Zentrum, in den Osten, dort, wo bisher eher arme Leute wohnen und Planungsreste früherer Jahre verfallen. »Roma capitale« heißt der Plan, erarbeitet von einem internationalen Gremium von »Weisen«.

Rom, das hatte schon Agrippa erkannt, der legendäre Baumeister der ersten Kaiserzeit, »hat die Tendenz, alles möglichst auf einem Platz zusammenzudrängen und damit an den Rändern zu verkommen«. Verbreitet sei die Manie, sich nur dann als wer zu fühlen, wenn Haus und Büro nahe dem Machtzentrum lägen, was an der Peripherie jedoch »Armut, Verzweiflung und Kriminalität« provoziere.

Die Manie scheint geblieben: Immer wenn Rom, nach periodischem Verfall, wieder aufblühte, kam es zu dem unvermeidlichen Sog ganz ins Innere; gleichzeitig explodierte die Stadt nach außen, bordete über, wurde immer unregierbarer. In der Renaissance geschah es ebenso wie in der Zeit nach der Reichseinigung im vorigen Jahrhundert sowie auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf engstem Raum drängeln sich seit eh und je die Paläste der Kaiser und der Päpste, die Banken und die Büros der Lobbyisten. Für den heutigen Romtouristen ein Vorteil — kaum eine andere Stadt bietet alles auf so engem Raum. Von St. Peter, dem geistlichen Mittelpunkt, bis zum weltlichen Machtzentrum des Quirinalspalastes (Sitz des Staatspräsidenten), Palazzo Chigi (Ministerpräsident) und Montecitorio (Parlament) läuft man gerade einen Kilometer, Forum, Colosseum, Pantheon und Piazza Navona liegen nebenan.

Für alles andere, von der Lebensqualität bis zur Infrastruktur, vom Verkehr bis zur Bürokratie, ist all das jedoch ein Desaster: stundenlanges Warten, um mit dem Auto ins Zentrum hineinzukommen, ansonsten überfüllte U-Bahnen und Busse, nicht enden wollender Lärm, Smog zu allen Jahres- und Tageszeiten. Vor allem aber kein einziges Amt, dessen Räume alle unter einem Dach wären. Gerichte sind in Dutzenden von Gebäuden untergebracht, Gesundheitsämter ständig im Umzug, in manchen Ministerien wissen nicht einmal mehr alte Hasen, wo welche Dienststellen liegen.

Versuche, einige der stark expandierenden Schlüsselministerien aus dem Zentrum herauszulocken, blieben stecken; mit Ausnahme des Finanz- und des Agrarministeriums wollte niemand in die ehemaligen Olympiabauten am EUR-Zentrum im Süden der Stadt: Die eitlen Minister suchten die Nähe zu den jeweiligen Regierungschefs, und die blieben stur im Palazzo Chigi.

Doch nun soll wirklich alles anders werden. Ein allen modernen Erfordernissen entsprechendes Leitungs- und Regierungszentrum mit dem Kürzel SDO — Sistema direzionale orientale — soll nun entstehen, mit Zwangsumsiedelung nahezu aller Großämter. Mehrere hunderttasend Räume sollen entstehen, teils Büros, teils für die Infrastruktur, teils auch Wohnungen. Das Areal des ehemaligen Flughafens Centocelle im Osten soll dafür bebaut werden, Teile der zum Glasscherbenviertel heruntergekommenen Zonen an der Via Casilina, der Via Prenestina und der Via Tiburtina sollen völlig umgekrempelt werden, vor allem die Stadtteile Torre Spaccata und Pietralata. Umgerechnet fast eine Milliarde Mark hat die Regierung bereits bewilligt, die Stadt hat zugestimmt, die Region und die Provinz müssen in den nächsten Wochen entscheiden.

Für Umweltschützer ist der Plan im Grundsatz nicht schlecht. Erstmals soll die Innenstadt wirklich entlastet werden (alleine für die offiziell zur Fußgängerzone erklärte zentrale Via del Corso gibt es derzeit 45.000 Ausnahmegenehmigungen). Ein Bebauungsplan soll den alten aus den 60er Jahren (der nie respektiert wurde) ersetzen. Die Verschiebung soll in eine Gegend geschehen, wo weder Grundwasserströme gestört, noch Grüngürtel gefährdet werden; auch die Zerstörung antiker Monumente wird sich in engen Grenzen halten. Für die Gegend dort könnte sich eine Regelung der Bautätigkeit als Segen erweisen — fast 20.000 Schwarzbauten stehen dort, allesamt ohne Rücksicht auf Statik und Ökologie hochgezogen. Sollten Ministerium und prestigeträchtige Ämter dort hinkommen, so die Kalkulation der Umweltschützer, kann es sich die Stadt nicht mehr leisten, dieses Viertel wie bisher ohne ausreichende Infrastruktur — von Bus- und Metroverbindungen bis zur Kanalisation — zu lassen.

Dennoch liegt gerade in dieser Hoffnung auch die Skepsis: Angesichts der Tatsache, daß unzählige derzeitige Ost-Bewohner umgesiedelt werden müssen, besteht die Gefahr, daß »diese dann irgendwo weiter draußen eine neue Peripherie mit unzureichenden und menschenunwürdigen Schnellbauten hochziehen«, so 'il manifesto‘. »Das Projekt«, sagt der dem Plan grundsätzlich zugeneigte Ökologe Antonio Cederna, »ist einfach zu gigantisch, zu langfristig, um an eine wirkliche Realisierung zu glauben. Bevor die zu bauen beginnen, hat sich wahrscheinlich schon wieder alles geändert.« Immerhin: »Hoffnung gibt, daß jedenfalls mal ein Pflock gesetzt wird gegen die Manie, alles im Zentrum zu konzentrieren.«

Das hatte freilich auch Agrippa im ersten Jahrhundert n.Chr. schon versucht und deshalb das weitgehend freie Marsfeld — damals Truppenübungsplatz — im Tiberknie zu bebauen begonnen. Der Erfolg hielt sich in Grenzen. Die Regierung blieb dennoch auf den traditionellen Sieben Hügeln sitzen, und aus dem Marsfeld wurde eine Gedenk-, Ehrungs- und Vergnügungsviertel. Werner Raith