Wie im richtigen Kino

■ Soup Dragons und Deee-Lite ohne Happy Mondays im Tempodrom

Die Mütze flog einem schon in Höhe der Kongreßhalle vom Kopf, so knallten die Bässe aus dem Zelt über den Tiergarten. Zwei Meter vor den Boxen drohte dann auch noch das Gehirn verlustig zu gehen. So gut beschallt, so glasklar abgemischt wie am Montag abend wurde selten ein Auftritt im Tempodrom. Die »Soup Dragons« läuteten den Abend ein, der mit den »Happy Mondays« und mit »Deee- Lite« die Ikonen der Tanzmusik des letzten Jahres versammeln sollte. Allein, dies Unterfangen scheiterte. Jede Besucherin erhielt am Eingang fünf Mark Begrüßungsgeld, wenn er trotzdem kommen wollte: Die Happy Mondays hatten nach Rod Stewart und »The Fall« als dritter britischer Krankheitsfall innerhalb eines Monats gecancelt.

Ihr Ausfall fiel zunächst nicht weiter ins Gewicht — die Soup Dragons arbeiteten für zwei, mit Manchester- Klängen, wie sie die Happy Mondays nicht besser hätten erzeugen können und die den jungen Gästen die Arme gen Zeltdach mit den wunderschön bunten Lichtkreisen rissen. Auch das Erscheinungsbild stimmte: Braune Haare fielen sanft über die Schläfen und über die simplen T-Shirts, wenn sich die schottischen Musiker über ihre Instrumente beugten. Viele kleine Lichter flirrten um die Beine des Sängers, der sich in legendären Posen übte. Unzählige Male muß Sean Dickson sich Aufzeichnungen von Doors-Konzerten angesehen haben, um so elegant den Rücken unter den emporgereckten Armen strecken zu können, daß ein Glas auf seinem Steißbein Halt fände. Und Bassist Sushil Dade bewies in seinen Soli, daß er Freund des Filmes sein muß: Mehr Koteletten und dicke Schlitten als zu den Klängen seiner gezerrten Saiten erscheinen noch nicht einmal in Streifen wie dem Koks-Film Super Fly.

Was die Soup Dragons versprachen, vermochten die Stars des Abends nicht halten: Das New Yorker Kunstprodukt Deee-Lite trat mit dem Anspruch an, sein Zitatenmosaik einmal nicht per Playbackband zu präsentieren, sondern mit echten Musikern Pop und Schweiß aufzuführen. Tonnen von Technik, symmetrisch um das Tonetable von DJ Dimitri aufgebaut, sollten den Erfolg garantieren, ebenso der Pionier des P-Funk am Bass, Bootsy Collins, den Deee-Lite hinzugebeten hatten, um sich für das Wagnis den Rücken zu stärken. Doch ein Meister allein vermag wenig auszurichten, wenn sein Mikrofon ausgeschaltet bleibt. Auch dem sowjetischen Commander Dimitri entglitt trotz seiner hohen Warte die Kontrolle über das Geschehen immer wieder, und schließlich entglitten der Sängerin namens The Lady Miss Kier Kerby ihre Einsätze, bis sie nach einer reichlichen Stunde noch nicht einmal mehr die richtige Tonlage traf.

Vielleicht irritierte das Fehlen des japanischen DJs Towa Towa mehr, als Miss Kier zugeben wollte. Er habe wichtigere Faxen zu machen, verlas sie von einem international gekabelten Papier und schleppte ein Papp-Abbild des Fehlenden herbei. Als sei dies das eigentliche Programm des Abends. Denn Deee-Lite versuchten nichts anderes, als das Abbild ihrer selbst, wie es seit letztem Sommer unzählige Male als Kostümstück über MTV lief, auf der Bühne zum Leben zu erwecken. Schon die Auftaktpose von Lady Miss Kier war bloßes Zitat: Das Bein vorzustrecken und die in die bis zum Anschlag hennarot toupierten Haare beißende zartviolette Federjacke zu Boden fallen zu lassen, um das Publikum mit Baby-Doll-Stimme zu begrüßen, war eins. Auch was folgte, blieb Video: Die Backgroundsängerinnen bewegten knapp neben dem, was Choreographie hätte werden können, Kragen und bauchfreie Hemdchen, mit denen auch schon Raumschiff Enterprise ins All gestartet war. Mit dem Sexappeal einer Cola-Dose wechselte Miss Kier die Garderobe, bis sie bei einer knallroten Plastikkarosserie angelangt war. Bootsy Collins trug seinen fernsehbekannten Stern-Fit dieses Mal auf der Stirn. Posen erstarrten zu falscher Zeit, und Kiers Lachen war so echt wie ihre Wimpern.

Zwischendurch der Filmriß — We've got some technical difficulties — nach dem zuvor die LP World Clique heruntergespielt worden war. Die Titel auseinanderzuhalten erübrigte sich, geht es in allem doch um dasselbe, um eine beliebige Liebe in einer beliebigen Völkergemeinschaft. Die Zugabe, I believe in the Power of Love, versprach alles und nichts, weil im Soundmisch der Deee-Lite die Bässe fehlten, mit denen die Soup Dragons das Publikum gefangen gehalten und das Wesen der Liebe auf den Punkt gebracht hatten: I take a kiss from you and put it in my gun.

Blieb das Licht. Schloß man die Augen, schienen Sonnenbälle in wenigen Metern Entfernung zu explodieren, schöner als im richtigen Leben. Wir sind im Kino gewesen. Claudia Wahjudi