Pressefreiheit per Video

■ Medienrevolution bricht das staatliche Monopol des indischen Fernsehens In den Videotheken des Landes blüht der Handel mit unabhängigen Nachrichten auf Kassette/ Satellitenschüsseln sorgen für neue TV-Bilder

Neu Delhi (dpa/taz) — „Doordarshan“ heißt die Einrichtung, und das bedeutet auf Hindi soviel wie „in die Ferne sehen“. Doch nicht einmal das kann man mit dem staatlichen indischen Fernsehen. Seine Nachrichtensendungen bestehen weitgehend aus Archivbildern und endlosen Monologen der Sprecher; ein Ärgernis, das beklagt wird, seit es in Indien Fernsehen gibt. Denn Rundfunk und TV haben sich immer wieder zum Sklaven der Partei gemacht, die gerade an der Macht ist. Die Regierungen haben sie eben benutzt, um sich selbst einen angenehmen Spiegel vorzuhalten und die Oppositionsparteien oder andere kritische Stimmen nicht zu Wort kommen zu lassen. Ein großer Teil der Sendezeit in Indien wird ausgefüllt mit hausgemachten Seifenopern, langweiligen Informationsprogrammen und einseitigen Diskussionen aktueller Themen.

Doch die Zeiten, in denen sich das staatliche Fernsehen auf dem weichen Polster des Monopols und der staatlichen Protektion ausruhen und den Bürgern der, wie Indien häufig genannt wird, „größten Demokratie der Welt“ im Regierungsauftrag ungestraft wichtige Informationen vorenthalten konnte, sind vorbei.

„Newstrack“ gegen staatliches TV-Monopol

Unabhängige Journalisten und clevere Geschäftsleute bringen seit einiger Zeit „Video-News“ heraus, die InderInnen endlich zeigen, was in ihrem Riesenland wirklich vorgeht. Die auf Kassetten aufgenommenen Nachrichtensendungen privater Produzenten, meist Verlagshäuser großer Zeitungen, finden reißenden Absatz. Newstrack, ein vom Magazin 'India Today‘, herausgegebenes Nachrichtenvideo, verkauft pro Monat schon 20.000 Kassetten, die sich etwa sieben Millionen Inder ansehen. Die immer reicher werdende Mittelschicht besitzt bisher schätzungsweise drei Millionen Videogeräte und verbringt täglich viele Stunden davor. Da man von etwa 30 Zuschauern pro Video ausgeht, sind die Nachrichtenkassetten auch für Werbekunden durchaus interessant geworden. Die durchschnittliche Ausgabe von Newstrack, die einmal im Monat herauskommt, enthält etwa fünf Beiträge von meist 15 Minuten zu aktuellen politischen Themen und Kontroversen, Porträts, Reportagen und Interviews mit Prominenten, von Werbespots unterbrochen. Das Magazin kann von Videotheken für zehn Rupis (18 Rupis = 1 US-Dollar) oder für 1.800 Rupis im Jahresabonnement bezogen werden.

Zehn Rupis für unabhängige Information

Neue Videonachrichten werden von den etwa 170.000 Videotheken im Land nur so auf den Markt geworfen. Kaum eines der großen Zeitungshäuser Neu Delhis, das nicht ein entsprechendes Projekt vorantreibt. Daß besonders die Zeitungsverlage aktiv werden, liegt vor allem an ihrer traditionellen Freiheit in Indien. Jede indische Regierung tut gut daran, es sich nicht mit einer Zeitung oder gar mehreren zu verderben. Doch das gilt noch längst nicht für Filmmaterial. Es unterliegt strengen Zensurbestimmungen.

Der Erfolg der beiden Nachrichtenmagazine ließ die Regierungspartei aufhorchen. Anstatt sich jedoch ein Beispiel zu nehmen und auch das staatliche Fernsehen mit ein weig mehr Unabhängigkeit und Objektivität auszustatten, reagierte die Regierung mit kruder Zensur. Jede Ausgabe der Videomagazine muß dem „Zentralen Zertifikationsdirektorium“ vorgelegt werden, einer Bundeskörperschaft, die als Zensurorgan für alle visuellen Medien außer dem Fernsehen zuständig ist. Die Aprilausgabe von Newstrack wurde vollständig verboten, weil eine Reportage über Kinderprostitution der Regierung nicht gefiel. Vor Gericht gewannen die Magazin-Macher jedoch einen Prozeß gegen diese Zensurmaßnahme und der Oberste Gerichtshof in Neu Delhi signalisierte unlängst, man könne sich vorstellen, die Zensurbestimmungen für Videonachrichten zu lockern.

Mit der Schüssel auf dem Dach zu neuen Ufern

Eine zweite Stufe der indischen Medienrevolution tobt seit den Tagen des Golfkriegs in Indien. Hungrig auf die hechelnd wiederholten Nachrichten des amerikanischen Fernsehsenders CNN, der die Bericherstattung vom Golf in aller Welt dominierte, hatte sich manch ein Inder eine Schüssel zum Satellitenempfang aufs Dach montieren lassen. Bald schon stellte er fest, daß sich mit dieser Antenne auch Sendungen aus dem benachbarten, aber feindlichen und deshalb noch interessanteren Pakistan auf die heimische Mattscheibe holen lassen und noch vieles mehr aus beinahe aller Welt. Für viele Inder wird die Welt täglich bunter, und manche eherne Weisheit, hochgehalten seit Menschengedenken, stellt sich ihnen als ziemlicher Unfug dar.

Zwar gibt es schon seit etwa 1984 vor allem in Bombay ganz ausgeschlafene Geschäftsleute, die Appartmenthäuser per Kabel mit Videotheken verbanden, um täglich Videos für Abonnenten einzuspeisen. Schon das war illegal, denn ein altes indisches Gesetz verbietet es, Kabel über öffentliche Straßen oder Staatsbesitz zu ziehen. Doch mittlerweile scheinen alle Dämme gebrochen zu sein. Da sich nicht jedermann eine bis zu 150.000 Rupien (knapp 13.000 Mark) teure Antennenschüssel leisten kann, werden, so heißt es, nächtens Koaxialkabel verlegt, die Interessenten mit einer vorhandenen Schüssel verbinden. Dafür werden auch schon mal Straßen aufgerissen und wirre Kabelstränge durch die Baumkronen gezerrt.

Das ist natürlich alles illegal, doch die fremden Signale aus dem Äther sind zu verlockend. Auch der Premierminister, schrieb der 'Indian Express‘ unlängst, wolle auf sie nicht verzichten und habe sich eine Schüssel aufs Dach bauen lassen. Staatspräsident und Außenministerium zogen nach. Da nützte es nichts, daß eine von der Regierung eingesetzte Kommission die kulturellen Gefahren an die Wand malte, die Indien angeblich durch den ungezügelten Zustrom all dieses unzensierten Geflimmers drohten.

Resigniert aber zutreffend stellte die Kommission auch fest, daß es „in einem Lande wie Indien nicht möglich ist, den Mißbrauch einer Antenne zu verhindern“. Unter Mißbrauch verstanden die Beamten, etwas anderes zu empfangen als das staatliche Fernsehen. Schließlich sei Indien kein totalitärer Staat, hieß es in dem Bericht. Wohl wahr, und nichts könnte dies besser unterstreichen als die fröhliche Anarchie, in der sich zur Zeit die indische Medienlandschaft befindet. Jeder sieht, was er will, und immer weniger glauben dem Staatsfernsehen.