INTERVIEW: „Minimale Kontroversen“
■ Zwei Delegierte der IG Chemie kritisieren Debatte und Wahlvorschlag auf dem Gewerkschaftstag
taz: Werden Sie Hartmut Löschner wählen?
Ein Delegierter aus Hamburg: Wenn ich das Gefühl habe, daß die Kolleginnen und Kollegen aus den fünf neuen Bundesländern hinter dem Mann stehen, bin ich bereit, ihn zu unterstützen. Aber wenn die ostdeutschen Delgierten nicht eindeutig dafür sind, bin ich dagegen.
Gibt es überhaupt noch inhaltliche Kontroversen in der IG Chemie?
Nur minimale. Im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung gibt es eine unglaubliche Lobhudelei der sozialen Marktwirtschaft. Nur wer ganz genau zwischen den Zeilen liest, wird feststellen, daß der Hauptvorstand ausschließlich von kooperationsfähigen Gewerkschaften spricht, während in anderen Anträgen wenigstens noch gesagt wird, die Gewerkschaften müssen stark sein.
Was kennzeichnet für Dich diesen Gewerkschaftstag am allermeisten?
In der Vorbereitung ist von alten und erfahrenen Kollegen gesagt worden, es sei doch sehr erfreulich, daß es noch nie so wenig Anträge gegeben hätte. Die allgemeine Hoffnung ist, daß man nicht wie ursprünglich geplant am Sonnabend mittag, sondern schon Freitag abend nach Hause fahren kann.
taz: Mußte man Parteimitglied sein, wenn man sich für die Kolleginnen und Kollegen eingesetzt wollte?
Dagmar Grundmann, Delegierte und Vorsitzende des Verwaltungsstellenvorstandes aus Leipzig: Es war nicht möglich, daß man sich in führenden Positionen ohne Parteimitgliedschaft für die Kollegen auf Gewerkschaftsebene einsetzen konnte. Das wollte ich den Kollegen aus den alten Bundesländern hier darlegen, damit sie überhaupt begreifen, unter welchen Voraussetzungen bei uns gearbeitet wurde.
Was sagen Sie zu Hartmut Löschner?
Er ist einen anderen Weg gegangen als ich es für mich wollte. Da ich in der Vergangenheit schon immer meinen Mund aufgemacht habe, auch öffentlich und vor größeren Gremien, war ich von dem SED-Regime vorgesehen, eine führende Position zu bekleiden. Deshalb hat man mich auch auf die Gewerkschaftsschule Bernau geschickt, um mir das politische Know-how zu vermitteln. Aber die weitere Forderung an mich war dann die Mitgliedschaft in der SED. Und da habe ich nein gesagt.
Hermann Rappe hat gesagt, Hartmut Löschner habe eine demokratische Legitimation durch den Gewerkschaftstag der Ost-IG-Chemie im Frühjahr 1990. Sie haben diese Legitimation bestritten?
Bestritten habe ich das nicht. Eine demokratische Legitimation ist schon erfolgt. Aber zu dem Zeitpunkt bestanden noch sehr viele alte Betriebsgewerkschaftsleitungen. Und die haben die Delegierten dorthin gesandt. In in wessen Interesse die dann gewählt haben, das habe ich offen gelassen und sich das zu überlegen, habe ich jedem selbst überlassen (lacht)...
Haben Sie nur für sich allein gesprochen?
Ich habe die Meinung von mehreren ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen wiedergegeben und speziell die Meinung der Kollegen aus meinem Betrieb und aus der Verwaltungsstelle Leipzig.
Werden sie dem Vorstandsvorschlag bei der Wahl der ostdeutschen Vorstandsmitglieder folgen?
Na gut, ich werde jetzt ganz deutlich. Ich habe den Vorschlag bereits im Vorfeld nicht mitgetragen. Ich werde ihn auch jetzt nicht tragen.
Interview: Martin Kempe
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