LESBENUNDSCHWULEGRABENINDERVERGANGENHEIT

PROGRAMMZUMCSD  ■  MITPRAUNHEIMUNDDIEPGEN

Unbestritten: Die Lesben- und Schwulenbewegung ist in die Jahre gekommen. Viel hat sie nicht mehr zu sagen, überläßt lieber anderen das Wort — auf der Samstagsdemo etwa Jugendsenator Krüger. Diepgen wird zwar leider nicht sprechen, jedoch — wie üblich — ein Grußwort ausrichten. Der Bewegung bleibt damit allein das Erzählen, und zwar von damals, wie alles anfing. Homopolitik ist eben nicht nach vorne, sondern nach hinten gerichtet.

Beim Berliner Schwulenverband mag das nicht überraschen. Er lud für heute abend sechs AugenzeugInnen ein, die den Aufstand von 1969 rund um die Christopher Street hautnah miterlebten. Leider sagten alle kurzerhand ab, faxten aber zumindest ihre Manuskripte nach Berlin, so daß sechs SprecherInnen sie vortragen können. Zusammen ergeben sie eine szenische Collage über das lesbisch-schwule Leben Ende der 60er in den USA, nur für Rückfragen fehlt leider die Standleitung nach N.Y.

Wird in der Homopolitik fast nichts Neues mehr erdacht, sieht es im kulturellen Bereich schon besser aus. Beim Filmfest des Lesbisch-schwulen Filmbüros heute abend im Eiszeit steht das Verhältnis von Gegenwart zu Vergangenheit immerhin fifty-fifty. Zum einen wird wieder einmal die völlig abgenudelte Kopie des Praunheim-Klassikers »Nicht der Homosexuelle ist pervers...« ausgegraben, zum anderen der erste bundesdeutsche Lesbenfilm wiederholt: »Anna und Edith«, eine ZDF-Fernsehproduktion von 1976 um den Alltag zweier Lesben, die noch so richtig gegen Männer und Ausbeutung schimpfen.

Neueren Datums sind die Filme »Out in Africa« und »Comrades in Arms«, die zur besseren Uhrzeit laufen. »Out in Africa« von Melanie Chait (1989) ist ein Portrait zweier schwuler Südafrikaner, die gemeinsam gegen Apartheid und für die Rechte der Homosexuellen kämpfen. Stuart Marshalls Film »Comrades in Arms« erzählt über das Homo-Leben in der britischen Armee des Zweiten Weltkriegs, mischt dazu Spielszenen mit interessanten »Talking Heads« und Archivaufnahmen.

»Denn sie wissen nicht, was sie tun« ist auch ein Film, doch bekanntlich ein eher heterosexueller, der deshalb im Eiszeit heute nicht gezeigt wird. Sein Titel ist aber für Lesben und Schwulen allemal wahr, nur keinesfalls für einen Beton-Politiker wie Eberhard Diepgen. »Ihr Engagement gegen Diskriminierung findet meine Sympathie«, streichelt der Regierende klug kalkuliert die TeilnehmerInnen des Homo-Karnevals und wünscht »gutes Gelingen«. Doch ob Herr Diepgen auch die CSD-Vergangenheit kennt?

Nehmen wir einmal an, die Ereignisse vom 27. Juni 1969 rund um das Lokal »Stonewall Inn« in der New Yorker Christopher Street wären gestern in Berlin passiert, irgendwo in einer Homobar in der Motzstraße hätten sich Gäste mit Steinen gegen eine Polizeirazzia gewehrt, die eingesetzten Beamten verprügelt und sich zu einer nicht angemeldeten Demonstration formiert. Diejenigen, die den CSD heute an vorderster Front zelebrieren und mit Grußworten beglücken, hätten sich doch am allerschnellsten von der »destruktiven« und »unpolitischen« Militanz aufs Schärfste distanziert. Micha Schulze

TERMINESTEHENUNTERCHRISTOPHERSTREETDAY