Pfründe im Osten für Kunstmafia

Polizei steht dreisten Beutezügen hilflos gegenüber/ Tod im Bordell führte zu gestohlenem Kirchengut/ Handlangerdienste für Kunden im Westen/ Tendenz steigend  ■ Von Jochen Wiesigel

Berlin/Erfurt. Sie stehlen die Kollekte und Heiligenfiguren und machen sogar vor Abendmahlskelchen nicht halt — in Ostdeutschland werden seit dem Fall der Mauer immer mehr Kirchen ausgeraubt.

Nach Ansicht des Gemeinsamen Landeskriminalamtes in Berlin hat eine Kunstmafia das Gebiet der neuen Länder längst unter sich aufgeteilt und einen schwunghaften Handel mit dem leicht zu erbeutenden Diebesgut aufgezogen.

„Mit steigender Tendenz wird gerade in Gotteshäuser eingebrochen“, klagt die Sprecherin des Amtes, Birgitt Griep, das für die Ostländer zuständig ist. Die Beamten stehen den Raubzügen oft hilflos gegenüber, weil vor allem in vielen Dorfkirchen keine Dokumentation der Kunstschätze existiert. Zwar sollten bereits 1978 nach einem Beschluß des damaligen DDR-Kulturministeriums Kunst- und Kulturgüter in Museen und Kirchen inventarisiert werden, doch wurde dieser Beschluß meist nicht ernst genommen. Frau Griep glaubt, den Grund zu kennen: „Die Kunstgegenstände in den DDR- Kirchen war doch bestens gesichert, solange die Mauer und mehrere Grenzzäune um das östliche Deutschland gezogen waren.“

Bis zum Fall der Mauer habe für Diebe nur eine minimale Chance bestanden, Kunstgüter außer Landes zu bringen. Erst mit der Freizügigkeit habe sich für Gangster und Ganoven, denen nichts heilig sei, auch in den Kirchen ein weites Betätigungsfeld eröffnet. Den letzten spektakulären Beutezug startete die offenbar gut organisierte Kunstmafia in der Nacht zum 3. Juni. Unbekannte Täter brachen das Westportal des Erfurter Domes auf und entwendeten mehrere Heiligenfiguren. Sie demolierten einen Teil des Katharinenaltars und stahlen die Figurengruppe Gottvater, Sohn und Heiliger Geist, zwei Engel sowie die Figuren der Heiligen Barbara und der Heiligen Katharina. Nach Meinung des Leiters des Dombauamtes, Hans-Heinrich Forberg, ein gezielter Coup: „Das war eine Auftragsarbeit.“ Die Serie der Diebstähle begann vor einem halben Jahr in der Prenzlauer Marienkirche. Die dreisten Ganoven entwendeten 18 Stifterfiguren, die 1512 in Lübeck für den Alter der Kirche geschaffen worden waren. Im Mai tauchten die wertvollen Kunstgegenstände in Köln wieder auf, so als ob sie einen Schutzengel hätten. Die Direktorin des Kunsthistorischen Museums in Prenzlau, Annegret Lindow, vermutet, den Dieben sei erst durch Veröffentlichungen in der Presse bewußt geworden, welchen unschätzbaren Wert ihre Beute besaß. Zwei Figuren wurden von den Dieben so stark beschädigt, daß sie nicht mehr restauriert werden können. Der Coup flog auf, als einer der Gauner in einem Bordell verstarb. Die Polizei verfolgte die Spuren und gelangte so in den Besitz von zwei Figuren, die eine Prostituierte an Kunden verkauft hatte. Immer wieder sind die Kriminalbeamten überrascht von der Mischung aus Brutalität und Frechheit, die den Dieben eigen ist. Lydia Heier von der Russischen Kirche in Leipzig kann das Zittern in ihrer Stimme kaum verbergen, wenn sie erzählt, daß Ganoven mit kaum mehr zu überbietender Unverschämtheit sogar eine Kollekte mitgehen ließen, die für die Kinder von Tschernobyl bestimmt war. Dazu hatten sie noch eine sehr wertvolle Ikone, einen Abendmahlskelch und Silbergerät aus dem Gotteshaus gestohlen.

Auch in der Dresdner St.-Petri- Kirche waren dreiste Räuber am Werk, die vermutlich Handlangerdienste für Kunsthändler aus dem Westen ausführten. Brutal hatten sie den Altargeräteschrank aus den Angeln gehoben, um an die Abendmahlskelche, Taufkannen und silbernen Leuchter zu gelangen. Doch zumindest hier war die sonst so machtlose Polizei erfolgreich — aus einer nahegelegenen Kiesgrube konnten Taucher einen Koffer mit dem gesamten Diebesgut bergen. ap