Jenseits des Großen Habens

■ Der Kommunismus der Jüdin Steffie Spira: die Liebe

Steffie Spira war in Bremen. Bisher waren Bilder von ihr angekommen: Vom 4. November 1989, als eine stämmige, greise Schauspielerin für Hundertausende auf dem Alexanderplatz gegen die wankende DDR-Betonkratie Worte aus Brechtschen Material schleuderte, „So, wie es ist, bleibt es nicht!“, und danach, wie Geißelhiebe, die Stichworte dessen, was aufhören soll: Militärparaden, Staatsbürgerkunde, Blauhemdenjubel, Vorbeimarsch des Volkes an der Tribüne mit denen da oben.

Am Dienstag abend saß sie (“ich bin jetzt 83, und das ist reichlich“) in ihrem umfänglichen, dunkelblauen Strickumhang auf der Bühne des Schauspielhauses. In der Reihe „Schriftstellerinnen zwischen Aufbruch und Verfolgung“ von Sonia Nowoselsky-Müller und Denny Hirschbach las sie aus ihrem Erinnerungsbuch „Trab der Schaukelpferde“. Anekdotische Brocken, Kindheit, der Schulrat kommt, Schauspielerin, Ohrfeigen für Panofsky und Stefan George, die ihr in den Ausschnitt langen, Agit-prop Theater mit der Truppe 31, Erfolg der „Mausefalle“ von Gustav von Wangenheim, Lebensgemeinschaft mit Günther Ruschin, KPD-Eintritt 1931, Flucht und Exil in Paris, Fraueninternierungslager Rieucros, 1940 Flucht nach Mexiko, 1947 zurück ins zertrümmmerte Deutschland. Sie geht mit ihrem Mann wieder an die Volksbühne, aber davon liest sie nicht mehr, sie liest nicht mehr von der DDR, in der sie eine besseres Leben aufbauen wollten. Was sie liest, Positives, demonstriert die Lebenslust, mit der sie Flucht, Not und Tod überlebt hat.

Mittwoch abend sieht sie sich im Institut Francais mit jungen Zuschauerinnen den Fernsehfilm an, den Marlet Schaake und Horst Cramer 1991 über „Die Geschichte von Camilla und Steffie Spira“ gedreht haben. Zwei schöne Berliner Jüdinnen, Schwestern, von denen Camilla, Jahrgang 1906, in den 20ern Operettenstar, in den 50ern BRD- Filmstar und Antikommunistin wurde — heute eine gepflegte grande dame wie Lilly Palmer; die andere, Jahrgang 19O8, die auf Volksbühne und Leben eine bessere, liebevolle Gesellschaft erspielen will und heute eine ungeglättete füllige Urmutter von Breughel und Kollwitz ist. Zwei Greisinnen, von denen die Urenkelinnen Lebenslust lernen können. Mag sein, daß sie sich deshalb nach Film und Diskussion bei Steffie Spira einzeln bedanken und ihr die Hand geben wollten.

Die scheinbare Unverwüstlichkeit der Steffie Spira ist weniger Natur als Philosophie. Nicht Jammern, sondern Leben heißt die. Leben heißt Lieben und ist auch körperlich zu verstehen. Immer hat diese alte Jüdin gegen den Wahn des „abscheulichen Habens als das wichtigste im Leben“ angespielt. Sie hat es in den alten Männern siegen sehen, die die DDR ruiniert haben, sie sieht es in dem siegreichen Kapitalismus. Ihre Philosphie von einem liebevollen Sozialismus hält allerdings auch dem Untergang der DDR, den sie als „Tragödie“ empfindet, stand. Er ist ohnehin eher eine praktizierte Bergpredigt, nur ohne Askese. Uta Stolle