Schwer verkäufliches Karma

■ »All the Vermeers in New York« im Sputnik

Der Blick über New York gleicht dem Blick in die Computerzentrale des Börsenmarktes. Der Aufbau der beiden Bilder ist gleich: Hochhäuser, die den Horizont verstellen und Computeranlagen, die von der Perspektive in den Raum ablenken. Mit solchen und ähnlichen Einstellungen beginnt der Film All the Vermeers in New York von Jon Jost. Die strukturbetonten, beinahe monochromen New York-Impressionen, mit denen der Film beginnt, tauchen in einer Galerie als in Violett oder Rot oder Blau gehaltene identische Gemälde der immer gleichen reproduzierten Menschenmassen noch einmal auf. Der Aussagewert dieser Kunstwerke liegt in der Farbe, nicht im Bildinhalt. Sinnstiftend ist nur noch die potentielle Käuferin. Individualität steht in reziprokem Verhältnis zu Solvenz. Der potentiellen Käuferin gefällt des rote Bild am besten. Die Bilder eines anderen haben individualisierten Inhalt; das Karma des einzelnen ist darauf abgebildet, deshalb sind sie schwer verkäuflich. Der Film will etwas über die verlorene Generation der achtziger Jahre sagen: Idenität ist passé, Geld zählt.

Mit Hilfe dieser Begegnungen wird im Film eine Atmosphäre, ein Rahmen geschaffen. Erst langsam wird klar, wer die Handlung bestimmt. Der Börsenmakler Mark beobachtet Anna, wie sie ein Bild von Vermeer im Metroplitan Museum of Art betrachtet. Die Kamera sieht, wie der Mann die Frau beobachtet, während diese sich das Bild anschaut. Für einen kurzen Augenblick wird die Aufmerksamkeit auf ganz bestimmte Personen gelenkt: Die Kamera, das Hilfsauge der FilmbetrachterInnen, sieht Mark und vor ihm Anna und die Frau auf dem Vermeerbild, Mark sieht Anna und vor ihr das Vermeerbild, Anna sieht die Frau auf dem Vermeergemälde.

Mark gibt Anna zu verstehen, daß er sie kennenlernen möchte. Anna und Mark treffen sich auf dem Dach des World Trade Centers. Mark redet darüber, wie sehr es ihn irritiere, daß alle Menschen, die vom Dach des Wolkenkratzers aus gesehen sowieso nur noch Ameisen sind, versuchen, Sinn in ihren Alltag zu bringen. Mark schlägt Anna vor, zu ihr zu ziehen. Er erzählt von seiner Arbeit an der Börse, die ihn langweile. Jeden Tag werden Zahlen, die Geld bedeuten, von einer Bildschirmspalte in die andere verschoben. Anna hat Geldprobleme. Sie braucht 3.000 Dollar. Mark gibt sie ihr. Wie sie dafür bezahlt, bleibt offen. Der Aufbau der Szene allerdings läßt wenig Zweifel daran, daß Anna sich gerade verkauft hat.

Der Film endet damit, daß Anna sich im Porträt der Frau auf dem Vermeerbild auflöst.

All the Vermeers in New York ist nicht auf Handlungen, sondern auf Bilder und auf der Kombination von Bildern und Musik aufgebaut. Die Musik von Jon English wird dann eingesetzt, wenn der Zeitbegriff gedehnt werden soll. Jon Jost sagt, er habe versucht, kompositorische Prinzipien, wie sie aus der Musik kommen, auf das visuelle Medium zu übertragen. Waltraud Schwab

All the Vermeers in New York ab heute im Original mit Untertiteln im Sputnik am Südstern.