Kino im Ausnahmezustand

■ Zwölf unabhängige polnische Produktionen im Sputnik

Vor etwa zehn Jahren wurde die erste unabhängige Filmproduktion in der polnischen Nachkriegsgeschichte gegründet. Stets vom Staat unter rigider Aufsicht gehalten, kamen die meisten Filme gar nicht erst in die Kinos. »Fürs Archiv produzieren und Arbeitsplätze erhalten«, so lauteten damals die Richtlinien der Zensurbehörden, so waren die jungen und oppositionellen Regisseure beschäftigt, während die Bevölkerung weitgehend vor ihren zynischen Kommentaren zur politischen lage »verschont« blieb.

So war z.B. der Spielfilm Sonntagsspielereien von Robert Glinski aus dem Jahr 1983 während des Kriegsrechts bis 1987 in Polen verboten. Am Tag von Stalins Begräbnis spielen in einem düsteren Warschauer Hinterhof Kinder. In ihrem Spiel ahmen sie den Feldzug der siegreichen Roten Armee nach. Mit Maschinengewehren werden Gefangene und Verräter an der Mauer exekutiert, während eine andere Abteilung der Hinterhofarmee mit dem Rekrutendrillen beschäftigt ist. Der Stoff, aus dem die Träume dieser Kinder sind, scheint ausschließlich aus Kriegsfilmen zu bestehen. Vor allem aber beginnen die Fünf- bis Dreizehnjährigen keinen rechten Unterschied zwischen Kriegstheater und Wirklichkeit zu sehen.

Das Drama beginnt mit einem Tauschhandel von Orden. Völlig alleine gelassen von ihren Eltern, die sich entweder in die Kirche schleichen oder im großen Aufzug zu Stalins Begräbnis stolzieren, fördern die Kinder Dinge zutage, die besser in ihren Verstecken geblieben wären. Nicht nur, daß sie sich aufführen, wie in einer Bunuel-Version vom Herr der Fliegen, sie legen auch mit den alten Orden und Karabinern wohlgehütete Geheimnisse frei, die schließlich die politische Geheimpolizei in den verlassenen Wohnblock führt.

Für die meisten Kinogänger bedeutet Kieslowski das neue polnische Kino, dabei wirkt sein katholischer Symbolismus im Vergleich zu den Filmen in dieser Reihe eher einschläfernd. Sein Antiheld aus Ein kurzer Film über das Töten, Miroslav Barka, taucht in dem zwei Jahre jüngeren Film Ich habe Lust zu schreien von Jacek Skalski wieder auf, weniger stumpf als bei Kieslowski, eher als ein Francois Villon von Warschau. Seine Antwort auf die dröge Beherrschung von Polizei und Militär heißt Anarchie. Nach seinem Ausschluß von der Uni während des Streiks läßt er sich willkürlich durch die Straßen treiben wie die Patrouillen, die auf der Suche nach Dissidenten die Stadt durchkämmen. Er nimmt sich eine Frau aus einer Warteschlange aufs Korn und verfolgt sie bis zum bitteren Ende.

Häufiger Vorwurf an das junge polnische Kino ist, nicht mehr zu bieten als das anklagende Aufzeigen der allgegenwärtigen Unterdrückung. Doch mit dieser Filmreihe sollten diese Stimmen verstummen. Diese Produktionen sind die Antwort auf das junge französische Kino, Antwort auf das europäische Kino der sechziger und siebziger Jahre, absurd und hypnotisierend. Zu danken ist Iwona Wroblewska, die als früheres Mitglied des ersten unabhängigen polnischen Filmstudios Karol Irzykowski diese Reihe konzipiert hat. Peter Niedetzki

12 unabhängige Produktionen, ab heute bis zum 10. Juli, täglich um 20 Uhr im Sputnik Südstern. Termine siehe Programmteil.