Der Kreuzzug des sportiven Schauspielers

Die wechselhafte Geschichte der päpstlichen Macht zeigt: Unterzukriegen ist sie keinesfalls  ■ Aus Rom Werner Raith

Die Frage Napoleons — mitunter auch Stalin zugeschrieben —, über wieviele Divisionen der Papst denn verfüge, ist nach Ansicht des amerikanischen Kirchenhistorikers Stewart A. Stehlin recht einfach zu beantworten: über mindestens so viele wie seine jeweiligen Gegner. Was allerdings „jenen verborgen bleibt, die unter Divisionen ausschließlich mit Schießgerät ausgerüstete uniformierte Truppen mit dicken Feldmarschällen verstehen“. Wichtiger sind zumeist jedoch „jene anderen Heere immer wieder mobilisierbarer Zivilkämpfer, Untergrundkombattanten und vor allem Politiker, die sich päpstlicher Macht gerne mal bedienen und dennoch glauben, ihr überlegen zu bleiben“.

Stehlin weiß wovon er spricht. In seinem Standardwerk Weimar and the Vatican hat er modellhaft gezeigt, wie sich der Heilige Stuhl auch in scheinbar aussichtloser Lage und ohne alle Waffen zäh und unverdrossen wieder in den Vordergrund zu mogeln vermag — um dann sofort wieder die alte Rolle des Rezept- und Ratgebers der ganzen Welt zu übernehmen. Das Modell funktioniert seit den 80er Jahren erneut, als nach dem Niedergang päpstlicher Autorität unter dem schwachen Paul VI. Karol Wojtyla das Kommando in St. Peter übernahm.

Der Vatikan sah sich am Jahrhundertbeginn in einer Lage, die eher auf den endgültigen Untergang der katholischen Kirche denn auf neues Erstarken hindeutete. Weltweit waren die protestantischen und nichtchristlichen Religionen im Vormarsch, innerhalb des Katholizismus folgte eine Spaltung der anderen, auf politischem Gebiet gab es nur noch Desaster: Garibaldi hatte 1870 den mächtigen Kirchenstaat zerfetzt, Frankreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Trennung von Staat und Kirche mit einem Abruch der diplomatischen Beziehungen zum Vatikan besiegelt, England stand im Krieg mit dem papistischen Irland, Rußland hatte es mit dem katholischen Polen. Als der damalige Papst Benedikt XV. nach zahlreichen Friedensappellen vor und nach Kriegsausbruch eine Beteiligung an künftigen Friedenskonferenzen forderte, schallte ihm ein allgemeines Nein entgegen.

15 Jahre später war die Zahl diplomatischer Vertretungen von einem halben wieder auf drei Dutzend angewachsen, heute sind es über 100, der Heilige Stuhl hat wieder sein international anerkanntes Staatsgebiet — und der Papst gilt wieder als allseits geschätzter Schiedsrichter auch in politischen Fragen. Mit Mussolini hatte er, um den Preis eines Verkaufs seiner Gläubigen an den Faschismus, den Katholizismus als Staatsreligion durchgesetzt, mit Hitler ein Konkordat abgeschlossen.

Der Architekt der schwunghaften Aufwertung hieß Eugenio Pacelli, war von 1920 bis 1929 Nuntius in Berlin, dann Außenminister des Vatikan und schließlich, unter dem Namen Pius XII. fast 20 Jahre lang Papst.

Sein derzeitiger Nachfolger ist — zum Frommen der Kurie — bewegungsfreudig. Was Pius XII. an diplomatischer Anerkennung in den „klassischen“ Staaten, vor allem Europa, erreichte, übertrug Johannes Paul II. auf die anderen Kontinente. Mit einer nicht enden wollenden Reisetätigkeit und ständig neuen Enzykliken bombardierte er nicht nur seine Katholiken, sondern brachte seinen Verein unentwegt ins Gespräch. Hatte selbst das dem Vatikan benachbarte italienische Fernsehen bis Ende des 70er Jahre allenfalls zur Eröffnung nachkonziliärer Bischofskonferenzen von Papstworten berichtet, so läuft heute kaum mehr eine Tagesschau oder Nachrichtensendung, ohne daß auch der Kommentar des Heiligen Stuhls oder seines Sprachrohrs „Osservatore Romano“ beziehungsweise Radio Vatikan zitiert wird.

Mittel dazu war dem polnischen Allroundgenie nicht nur sein zweifellos weltmännisches Charisma, seine physische Sportlichkeit, seine Schauspielerkunst, sondern auch die Fähigkeit, die Papstämter mit ausgesprochenen Rammböcken vom Schlage eines Kardinal Ratzinger (Titular der Glaubenskongregation, einst Inquisition genannt) zu besetzen — und nicht nur die Papstämter. Mit Hilfe zahlreicher, sofort auf seine fundamentalistische, radikal- naive Glaubenslinie ohne alle theologische Schnörkel aufgesprungenen, katholischen Massenorganisationen sowie den geheimbündelnden Elite- Stoßtrupps Marke „Opus Dei“ vermochte er auch außerhalb seines engeren Reichs wichtige Plätze zu besetzen. Vor allem im Sektor der Massenmedien und in politischen Distributionsstellen rückten die Papst- Frondeure in Europa wie in Übersee, in Asien wie in Afrika zu Tausenden ein. Die Öffnung der islamischen Welt durch die massive Verurteilung des Golfkriegs und eine sofort nach Kriegsende eingegangene Einladung zur Zentralkonferenz der Ayatollahs im Iran — das ist die vorläufige Krönung solcher Politik.

Soviel Erfolg stärkt den Appetit. Und so hat der Papst sich eine weitere Aktion ausgedacht, die ihn endgültig den mächtigsten Petrus-Nachfolgern des Mittelalters gleichstellen soll: einen Kreuzzug. Er nennt ihn tatsächlich so. Wie die Ritter dazumal die heidnischen Mordbuben aus Jerusalem vertreiben sollten, will Johannes Paul II. es mit jenen aufnehmen, die er für die modernen Mordbuben hält. In einem Rundbrief an seine 4.000 Bischöfe in aller Welt ruft er zur „Crociata“ gegen alle Regierungen auf, die Abtreibung gestatten. Zielte er bislang auf das Gewissen der Frauen ab, so fordert er nun direkt die Politiker heraus. Eine Nagelprobe für den realen Einfluß in der Welt.