Kommt der Karol angeflogen...

In der CSFR erleben viele im Antlitz des Pontifex ein eher weltliches, kollektives Zugehörigkeitsgefühl  ■ Von Sabine Herre

Als Papst Johannes Paul II. am 21.4.1990 auf dem Flughafen Ruzyne zum erstenmal den böhmischen Boden küßte, konnten die Passanten in den Straßen Prags sich diesem Schauspiel kaum entziehen. Seit den frühen Morgenstunden erklang weihevolle Musik aus den Lautsprechern, die noch aus der realsozialistischen Zeit zur revolutionären Berieselung der Massen stammen. Live zeigten in den Schaufenstern aufgestellte Fernseher jeden Schritt des Petrus-Nachfolgers. Doch das Bild der 2.000, die auf der Prager Letna — zuletzt Schauplatz der Demonstrationen der samtenen Revolution — zum päpstlichen Gottesdienst zusammenkamen, trog. Die Gläubigkeit der Böhmen ist mit jener der Polen nicht zu vergleichen. Was die Menschen zusammenströmen ließ, war der Wunsch nach einem kollektiven Erlebnis der Zugehörigkeit zu Westeuropa, das in diesem Fall gerade durch den polnischen Papst aus Rom „verkörpert“ wurde.

Nur noch die Hälfte der Bevölkerung macht bei den Katholiken mit

Bei all denjenigen aber, die nicht „dabei“ waren, wurde deutliche Kritik laut. Der Aufwand erinnere stark an frühere Besuche kommunistischer Spitzenfunktionäre, der Einfluß der katholischen Kirche auf die Politik werde ständig größer, von den Kanzeln ertöne bereits die Aufforderung zur Wahl bestimmter Parteien. Und dabei wird die Zahl der Katholiken in Böhmen immer kleiner. Jüngste Erhebungen haben gezeigt, daß nicht, wie bisher angenommen siebzig, sondern weniger als fünfzig Prozent der Bevölkerung Mitglied der römischen Kirche sind. Die traditionelle hussitische Orientierung, verbunden mit der Säkularisierung des industrialisiertesten Landesteiles, haben den katholischen Gemeinden zugesetzt wie die Verfolgung durch die kommunistische Regierung der letzten vierzig Jahre.

Da der Staat bei der Besetzung von Pfarrämtern und Bischofssitzen sein Placet geben mußte, hatten 1.600 von 4.500 Gemeinden der CSSR keinen eigenen Parrer, 8 von 14 Bischofssitzen waren vakant. Die Situation der katholischen Kirche in der Slowakei für sich genommen ist besser als im anderen Teil der Republik. So überstieg noch in den siebziger Jahren die Zahl der Priester die der Pfarreien, dort werden noch immer rund 90 Prozent aller Neugeborenen getauft. In der östlichen Republik kann die katholische Kirche aber auch auf eine ganz andere Geschichte zurückblicken. Während die Tschechen dem eng mit der Habsburgermonarchie verbundenen Klerus die Unterdrückung ihrer nationalen Bestrebungen anlastete, bildeten die katholischen Priester der Slowakei einen wichtigen Teil der Unabhängigkeitsbewegung gegen die Ungarn.

In den Jahren einer „selbstständigen“ slowakischen Republik 1939 bis 45 war die katholisch dominierte slowakische Volkspartei unter Monsignore Jozef Tiso die entscheidende politische Kraft des klerikalfaschistischen Staates. Und auch heute zeigt sich die „Christdemokratische Bewegung“ des Ministerpräsidenten Jan Carnogursky neben der Slowakischen Nationalpartei als die politische Kraft, die am nachdrücklichsten auf die Souveränität der Republik drängt. Doch selbst der „überzeugte Katholik“ Carnogursky möchte seine Politik nicht einfach den Wünschen der vatikanischen Kirche unterordnen.