Defizit-Töchter kratzen am glänzenden Daimler-Image

Auf der Hauptversammlung gestern in Stuttgart wurden die Aktionäre bei freiem Essen & Trinken wieder mit zwölf Mark Dividende pro Aktie abgespeist  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

Wenn der Mischmulti Daimler-Benz die sehr verehrten Damen und Herren Aktionäre zur jährlichen Generalversammlung einlädt, ist die Stuttgarter Hanns-Martin-Schleyer- Halle gerade groß genug. Tausende Kleinanleger wollen dabei sein, wenn das oberste Organ der „ertragreichsten deutschen Publikumsgesellschaft“ stundenlang über die Geschäftspolitik debattiert und die von Konzernlenker Ezard Reuter vorgelegte Jahresrechnung absegnet wird. Gestern war es wieder soweit: Die Investoren wurden zur Abnahme der Jahresbilanz 1990 gebeten, nach der der umgestrickte Daimler-Konzern wieder auf Konsolidierung und alten Glanz hofft. 85,5 Milliarden Mark Umsatz und ein Jahresüberschuß von 1,8 Mrd. — für Vorstand und Aufsichtsrat ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann.

Das Freizeitspektakel für die gestern 7.000 Aktionäre, im Möhringer Daimler-Headquarter wochenlang von über 100 Angestellten sorgsam vorbereitet, soll dem Aufbruch Stimmkraft verleihen — schließlich sind die Kleininvestoren für Verwaltungsrat und Geschäftsleitung von strategischem Wert.

Während vor den Toren der Halle rund 100 RüstungsgegnerInnen mit einem symbolischen Massensterben gegen die Waffenexporte des Technologiekonzerns protestierten, spielte drinnen Ezard Reuter den Saubermann: Nach der obligatorischen Rhetorik-Tour durch die Weltlage und die Befindlichkeit der deutschen Wirtschaft, betonte er, daß sich Daimler „ausnahmslos an die geltenden Exportbestimmungen gehalten“ habe. „Deswegen sind wir sicher, daß der Anonymus, der uns mit seinen Schüssen aus dem Dunkel treffen wollte, scheitern wird.“ Gegen das Unternehmen Daimler-Benz läuft gegenwärtig ein Ermittlungsverfahren wegen illegaler Lastwagenexporte in den Irak, das auf einer anonymen Anzeige basiert. Die Darstellung des blitzsauberen Images teilen allerdings einige KleinaktionärInnen nicht. Unverhohlen übten sie Kritik an der Rüstungsexportpolitik Daimlers: Trotz angeblich strenger hausinterner Exportrichtlinien plane das Unternehmen weitere Rüstungsaktivitäten — so etwa die Entwicklung eines Radpanzers für den Export in die Dritte Welt mit der französischen Rüstungsfirma Societe Panhard; außerdem die Lieferung von Teilen zum Bau von 12.000 Panzerabwehrraketen nach Indien oder Verhandlungen über einen Tornado- Deal mit Südkorea. Bei der Rüstungskonversion, so der „Ohne Rüstung leben“-Sprecher Paul Russmann, komme einfach zu wenig Innovation aus dem Konzerninneren.

Die „Aktion Entrüstet Daimler“ führt in ihrem ergänzenden Geschäftsbericht als Kritikpunkt auch den durch das beschlossene Kostensenkungsprogramm verursachten wachsenden Druck auf die Belegschaft an. So sollen nach einer von der Unternehmensberatung McKinsey vorgelegten Gemeinkostenanalyse allein in der Konzernzentrale 3.000 Arbeitsplätze eingespart werden. Im Automobilbau laufen die Bestrebungen auf eine Ausweitung der Betriebsnutzungszeiten hinaus, die in Teilbereichen zur Wiedereinführung des Dreischichtbetriebs und Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf zehn Stunden führt. — Heftig umstritten ist zudem die Strategie der Autotochter Mercedes: Mit den Superschlitten der neuen S-Klasse, im übrigen auch in der Belegschaft kontrovers diskutiert, werde angesichts der zunehmenden Verkehrsprobleme der Weg in die „Zukunft von gestern“ eingeschlagen, halten die kritischen AktionärInnen den Mercedes-Männern um Chefchauffeur Werner Niefer vor. Sie fordern statt dessen, die 16 Mrd. D-Mark Forschungsgeld, die in den kommenden vier Jahren fließen werden, gezielt in die Entwicklung kleinerer, umweltverträglicher Elektrofahrzeuge und anderer alternativer Transportsysteme zu stecken. Kein anderer Autokonzern, so Mercedes-Betriebsrat Tom Adler, besitze vom Innovations- und Entwicklungspotential her so gute Voraussetzungen.

Die Daimler-Vorstandscrew indes plagt ein anderes Problem: Der Konzern, so die Philosophie des Hauses, muß wachsen. Die defizitären Töchter AEG (Defizit: 205 Mio. D-Mark) und Dasa (Defizit: 135 Mio. D-Mark) aber kratzen spürbar an den lackschwarz glänzenden Konzernzahlen. AEG-Chef Ernst Stöckl, der so gescheit reden kann wie sein Oberchef, soll die Scharte mit dem Verkauf der maroden Bürofirma Olympia, der Stellwerkstechnik und vielleicht sogar der Unternehmenssparte Haushaltstechnik wieder auswetzen. In wesentlich unsicherere Zeiten fliegt die Dasa, die durch das Ausbleiben von Rüstungsaufträgen und Währungsrisiken beim Airbus- Geschäft zunehmend in Turbulenzen gerät. So ist es nicht verwunderlich, daß Chefdenker Reuter den anwesenden Repräsentanten, die über zwei Drittel des Daimler-Grundkapitals von 2,33 Mrd. verkörpern, die bewährt knappe Dividenden-Politik vorrechnet: Mit 557 Mio. D-Mark schüttet der Konzern fast denselben Betrag wie 1989 aus, obwohl der Jahresüberschuß um sechs Prozent stieg. Und wie im vergangenen Jahr jammerten viele Aktionäre über die geringe Gewinnzuteilung. Denn Spitzenklasse ist die Dividende von 12 Mark längst nicht, selbst bei freiem Essen und Trinken auf der Hauptversammlung. Aber die Anleger können sich trotzdem freuen: Das Daimler-Wertpapier gehörte auch 1990 zu den beliebtesten deutschen Kurszetteln. Allein an deutschen Börsen wechselten Daimler- Aktien im Kurswert von über 120 Mrd. D-Mark ihre Besitzer; das waren 7,5 Prozent des Inlandsaktien- Umsatzes.

Daimler-Benz kann auch auf eine stabile Aktionärsstruktur zählen. Mit der Deutschen Bank (28 Prozent), der hauptsächlich von institutionellen Anlegern getragenenen Mercedes Aktiengesellschaft Holding (25,32 Prozent) und des Staates Kuwait (14 Prozent) halten drei Großaktionäre zwei Drittel des gesamten Aktienkapitals. Daß sich Kuwait wegen der immensen Golfkriegs-Folgekosten von einem Teil seines Aktienbesitzes trennen muß, befürchten die Konzernherren nicht. Die Kuwaitis hätten versichert, daß an eine Veräußerung nicht gedacht werde. Das Aktionärsvolk hörte andächtig zu. Der Aktionär, resümierte Bismarcks Bankier Fürstenberg vor gut hundert Jahren, sei dumm, weil er Aktien kaufe und frech, weil er dafür noch eine Dividende verlange.