Markovic pocht auf staatliche Einheit

Bundesarmee in Slowenien in Alarmbereitschaft/ Dauertagung des kroatischen Parlaments/ Baker: „Geschichte kann sich wiederholen“/ Auch Bosnien und Mazedonien wollen unabhängig werden  ■ Aus Zagreb Roland Hofwiler

Bereits einen Tag nach der Verabschiedung der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens hat die jugoslawische Volksarmee in beiden Republiken eingegriffen. Die kroatische Kleinstadt Dvor na Uni, 60 Kilometer südlich von Zagreb, ist durch Armeeverbände von der Außenwelt abgeschnitten. Offenbar hat es zuvor bei bewaffneten Zusammenstößen zwischen der serbischen Minderheit und nationalbewußten Kroaten zahlreiche Verletzte gegeben, auch in den benachbarten Städten sollen größere Armeeverbände zusammengezogen sein. Ein genaues Bild der Lage ist nicht zu bekommen, selbst Telefonleitungen in diese Gegend wurden auf Anweisung der Bundesorgane gekappt.

Die jugoslawische Bundesarmee wurde in ganz Slowenien in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Nach Angaben des neuen slowenischen „Staatsministers für Verteidigung“ Janez Jansa sollen auf mehreren Flughäfen neue Truppeneinheiten, aus Belgrad kommend, gelandet sein. Nach ihm werden die derzeit 22.000 Mann starken Truppen — gegen alle Absprachen mit der ehemaligen Zentralregierung — in diesen Stunden weiter verstärkt. Nach anderen Gerüchten ereigneten sich auch kleinere Zwischenfälle zwischen Armeesoldaten und Zöllnern an kleinen Grenzübergängen hin nach Österreich. Doch in den Großstädten der neuen „Staaten“ ist den Menschen keine Spannung anzusehen.

Das gleiche Bild bietet Zagreb. Hinter verschlossenen Türen tagt aber das kroatische Parlament ununterbrochen, um die neue politische Lage zu beraten und Einigkeit zu erzielen, wie denn das angestrebte Staatsbürgerschaftsgesetz aussehen sollte und durch welche Schritte man international hoffähig werden könnte. Anders als in Ljubljana verbergen hier die elektronischen Medien nicht die Enttäuschung darüber, daß die USA und die EG-Staaten ungemein scharf die kroatische Unabhängigkeit kritisieren. Rundfunk und Fernsehen senden pausenlos Sondersendungen, in denen kroatische Auslandskorrespondenten internationale (negative) Stimmen einfangen und in denen Kommentatoren über neue Schachzüge der Bundesregierung Ante Markovics spekulieren.

Die bisher herausgegebenen Erklärungen Markovics lassen nichts Gutes ahnen. Vor allem jene in den Morgenstunden des gestrigen Mittwoch, in der das Innenministerium und die Armee gemeinsam beauftragt wurden, die Sicherung der Grenzen und die Bewahrung der staatlichen Einheit mit allen legalen Mitteln aufrechtzuerhalten. Was dabei als „legal“ angesehen wird, ist die große Frage, denn nach der immer noch geltenden sozialistischen Staatsverfassung kann die Armee selbst innenpolitisch aktiv werden.

Drohungen dieser Art werden in manchen Belgrader Tageszeitungen auch offen ausgesprochen. Seitenlang druckt man ebenfalls die ersten Reaktionen des Auslandes ab. Vor allem jene Stelle einer Erklärung des US-Außenministeriums vom Vortage, wo darauf hingewiesen wird, solche „Abspaltungstendenzen“, wie sie nun in Nordjugoslawien zu sehen seien, könnten in anderen Balkanregionen Nachahmung finden, sogar „Aufstände nationaler Minderheiten wie der Griechen in Albanien, der Türken in Bulgarien und der Ungarn in Rumänien“ provozieren. Immer wieder muß auch in den serbischen Medien das Baker-Zitat auf der letzte Woche zu Ende gegangenen KSZE-Konferenz herhalten: „Die Geschichte kann sich wiederholen — ein neues Sarajevo ist nicht ausgeschlossen.“

Und gerade aus diesem Sarajevo kamen auch gestern erstmals neue Töne. Plötzlich trifft auch in dieser Republik das Parlament zu einer sogenannten Dauersitzung zusammen, die solange anhalten soll, bis man in den „nächsten Tagen dem Beispiel Sloweniens und Kroatiens folgt und seine eigene Souveränität erklärt“ (so der bosnische Präsident Alija Izatbegovic). Unbestätigten Meldungen zufolge werden nun auch in der allersüdlichsten Republik, in Mazedonien, entsprechende Vorbereitungen getroffen. Nach diesem Szenario wären dann nur noch Serbien mit seinen gleichgeschalteten Provinzen Vojvodina und Kosovo und das winzige Montenegro Teil des „Restjugoslawiens“.