Ein Flüchtlingsschicksal in Deutschland: „Ich habe keine politische Geschichte“

■ Eine 40jährige Palästinenserin, vor dem Bürgerkrieg im Libanon geflüchtet, erzählt ihre Geschichte

„Ich heiße Umm Mohamed, bin 1951 in Bourj al-Barajneh geboren, einem Palästinsenserlager in Südwestbeirut. Was ich hier erzähle, ist keine politische Geschichte. Ich bin mit meinen vier Töchtern im Sommer 1990 aus dem Libanon nach Deutschland geflohen. Meinen ältesten Sohn hatte ich schon 1984 nach Berlin geschickt. Da war er gerade 14. Die Amal-Miliz hätte ihn fast geholt. Die haben damals die Häuser nach Jugendlichen abgesucht, die für sie Barrikaden aus Sandsäcken bauen. Sein Onkel lebt schon seit langem in Deutschland, der hat ihn aufgenommen. Ich war mir damals noch sicher, im Libanon bleiben zu können. Das ist meine Heimat, obwohl ich Palästinenserin bin. Aber im Sommer 1990 war klar, daß es einfach nicht mehr gehen würde.

Genaugenommen bin ich seit Beginn des Krieges eigentlich ständig auf der Flucht. Sie müssen sich das so vorstellen: Man hat sich gerade einen Stuhl zum Sitzen besorgt, da muß man schon wieder weg. Insgesamt sind wir sechsmal ausgebombt worden. 1975 ist mein Vater bei den Bombenangriffen der Syrer ums Leben gekommen, 1978 ist mein Mann an Krebs gestorben. Er wäre vielleicht auch noch am Leben, wenn es diesen Krieg nicht gegeben hätte. Ich habe mich dann mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen. Die letzten fünf Monate vor der Flucht lebten wir in einem Keller, bei einer befreundeten Familie. Es gab kein Wasser mehr und keinen Strom. Lebensmittel und Medikamente waren immer teurer geworden. Wer viel Geld hat, kann im Libanon alles bekommen, aber wehe dem, der keines hat. Am Schluß haben sie sogar die Bunker gegen Geld vermietet. Ich hatte einfach das Gefühl, ich würde das nicht mehr länger schaffen: die Bomben, die Schießereien, dazu zwölf Stunden im Restaurant arbeiten, um meine Töchter durchzubringen. Für eine alleinstehende Frau ist das alles noch mal so schwer.

Ich habe dann die Papiere besorgt, für mich und meine Töchter. Bis zum Abflug, sechs Tage später, habe ich sieben Kilo abgenommen — nur aus Angst, die Syrer würden uns am Flughafen nicht durchlassen. Wir hatten alle unsere Kleider in ein paar Koffern mit zum Flughafen geschleppt. Ich dachte mir: Wenn wir durchkommen, haben wir in Deutschland wenigstens was anzuziehen. Sie haben uns durchgelassen. Wir sind nicht mal in den Flughafenbus eingestiegen, sondern einfach über das Flugfeld zur Gangway gerannt. In Berlin wollten uns die Polizisten in die nächste Maschine zurück nach Beirut stecken. Aber ich hatte längst die Rückflugtickets zerrissen.

Hier in Berlin hat man mir gesagt, ich solle kein Asyl beantragen, sondern eine Duldung. Ich mußte alle paar Monate zur Ausländerbehörde, um die Duldung verlängern zu lassen. Über die Behörde kann ich mich wirklich nicht beklagen, die Sachbearbeiterin hat mich immer sehr gut behandelt. Aber beim Sozialamt hat man mir gesagt, ich sei nur wegen des Geldes nach Deutschland gekommen — also habe ich die ersten Monate überhaupt nichts bekommen. Das Problem liegt wohl darin, daß die Menschen in Deutschland sich nicht vorstellen können, warum man aus dem Libanon fliehen muß. Man kann sich das ja auch gar nicht vorstellen, wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Das Schlimmste, was ich je erlebt habe, waren die Kämpfe zwischen den Syrern und den Truppen von Michel Aoun. Meine Tochter ist einmal während einer Feuerpause aus dem Haus zu einer Freundin gelaufen, weil sie es zu Hause nicht mehr ausgehalten hat. Kaum war sie weg, gingen draußen die Kämpfe wieder los. Wie eine Wahnsinnige bin ich im Zickzack durch die Straßen gerannt, um sie zu suchen. Sechzehn Jahre Bürgerkrieg, das heißt Ausgangssperre nach 6 Uhr und Jugendliche, die nichts anderes als Krieg kennen und mit ihren Kalaschnikows alle möglichen Leute bedrohen. Bürgerkrieg — das heißt auch Attentate und Autobomben. Jedesmal, wenn eine Bombe hochgegangen ist, bin ich losgerannt, um zu sehen, ob ein Verwandter oder Bekannter unter den Toten ist. So ungefähr müssen Sie sich das Leben dort vorstellen.

Meine Duldung läuft am 17. Juli aus. Die meiner ältesten Tochter schon am 1. Juli. Seit ein paar Wochen weiß ich, daß es hier ein neues Gesetz gibt. Man kann uns jetzt einfach abschieben. Seitdem wird in unserem Heim nur über dieses eine Thema geredet: Abschiebung. Ich kann meine Angst nicht mit Worten beschreiben. Ich bin sicher, Sie würden auch nicht in ein Land zurückgehen, das von einer fremden Macht besetzt ist. Genau das hat Syrien mit dem Libanon getan. In meiner Heimat wird zur Zeit nicht geschossen, aber niemand kann dieser Ruhe trauen. Und ich wüßte nicht, wo ich hin sollte, wenn sie mich zurückbringen — ohne Haus, ohne Einkommen. Ich bin kaputt von diesem Krieg.

Wissen Sie, was mir an Berlin so gefällt? Daß mir hier keine Bombe auf den Kopf fällt; daß hier niemand mit Maschinengewehren und Handgranaten durch die Straßen läuft; daß ich hier noch um 11 Uhr abends in der U-Bahn fahren kann. Neulich habe ich gesehen, wie sie auf einer Parkbank eine Frau gefunden haben — betrunken oder krank. Sie hat sich nicht mehr bewegt. Ein Hubschrauber hat sie in ein Krankenhaus transportiert. Man gibt sich hier viel Mühe um einen einzelnen Menschen. Im Libanon kümmert sich keiner darum, ob da einer auf der Straße liegt und sich nicht mehr bewegt.

Wie gesagt, was ich da erzähle, ist keine politische Geschichte. Ich will nur in Frieden leben.“ Aufgezeichnet

von Andrea Böhm