Eintauchen in den Malprozeß

■ Informelle Malerei in der Galerie Nothelfer

Den Vorwurf eigenbrödlerischer Selbstbezogenheit mußten sich die informellen Künstler, speziell die deutschen, oft genug anhören. Sie seien geschichtslos, unverständlich abstrakt, hätten keinen eindeutigen Stil und wären wenig am Kunstmarkt orientiert, hieß es. Richtig ist, daß eine ästhetische Trauerarbeit, noch keine zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, bei ihnen ebensowenig angesagt war, wie das Schielen nach modischen Tendenzen. »Mir diktiert das Bild den Vorgang des Malens«, hatte Fred Tiehler gesagt und seine rotschwarzweißen Bettücher, die mittels farbiger Fließ- und Schwimmorgien zu explosiven Grenzüberschreitungen trockneten, schienen den Kritikern recht zu geben. Ein autonomes Reich künstlerischer Freiheit tat sich auf, in der die Kunst selbst zum Ethos avancierte.

In Anlehnung an diesen Terminus stellt derzeit die Galerie Nothelfer unter dem Titel: »L'art moral — Die Würde und der Mut« rund sechzig Bilder informeller Künstler aus: von Mattia Morenas krustenartigen Farblandschaften über Willem de Koonings fleischigen Nachexpressionismus, Bacons düstere Horrorvisionen, Chillidas transzendente Knäuel und Dubuffet rosarotes Feuermeer bis zu Sonderborgs sekundenschnellen Action-Paintings. Im Unterschied zur (zeit)geistlosen Metropolisschau im Martin-Gropius-Bau, sind die Informellen das eigentliche Kunstereignis Berlins, finden sich doch hier nicht die postmodernen »Plünderungen« unernster Marktschreier.

Vielmehr erscheint bei den Informellen ein gläubiges Beharren auf innovativer Einbildungskraft und künstlerischer Kreativität. Aus dem Verzicht auf akademische Methoden und durch die Suche nach persönlichen Erfahrungen im Malprozeß bilden sich farbig-klingende und bewegungs-poetische Spuren auf der Leinwand. Stift und Pinsel gleichen einem Taktstock aus dem Rhythmus innerer Musik. Die einst festen Formen lösen sich auf zu hermetischen Kompositionen äußerster Ästhetisierungen.

Revue passieren dabei die Bilder von Willi Baumeister, Hans Hartung, Emil Schumacher oder Jasper Johns , die ein Thema umkreisen, es wenden und wiegen, dann wieder Abstand nehmen, um erneut mit einem artistischen Weg es zu versuchen.

Heute, über 30 Jahre nach den Anfängen der Informellen, ist zu sehen, daß in den Graphiken und Gemälden doch genauere Porträts der Geschichte nachgelebt und entstanden sind, die den Vorwurf autonomer Spinnerei relativieren. Nicht nur, daß es sich um gut komponierte Phantasmagorien über abstrakte Kunst handelt, die diese aus den Zwängen der avantgardistischen Experimente befreite. Die Bewegungen auf der Leinwand widerspiegeln auf eine manchmal schockartige Sicht flirrende Lebenserfahrungen und existentielle Bedrohungen der 50er Jahre. So meint man den kreischend Jazz und berstende Maschinen in lauten gleißenden Großstädten in rotschwarz oder spielerische Variationen auf wirtschaftswunderliche Sonntagsausflüge in lindgrün ebenso zu sehen, wie das Verschwinden des Subjekts und den Verlust des Subjektiven zwischen diesen Prozessen. Alberto Ciacomettis spindeldürre Figur wie Fred Thielers Eintauchen in den Malprozeß in der Ausstellung stehen gleichermaßen dafür. rola

»L'art moral — Die Würde und der Mut« ist bis September in der Galerie Nothelfer zu sehen, Uhlandstr. 184, 1-12, Mo-Fr 11-18 Uhr, Sa 10-14 Uhr. Das Katalogbuch kostet fette 80.- DM