piwik no script img

„Daß man etwas spielen kann trotzdem...“

■ taz-Gespräch mit Hans Jürgen Breuste, Bildhauer / Zur Ausstellung „Weitergehen“ im Künstlerhaus am Deich

Hans Jürgen Breuste vor seiner Installation im Künstlerhaus am Deich, wie immer klein gegen sein WerkFoto: Jörg Oberheide

Seine Skulpturen und Environments sind vom Ausmaß und der assoziativen Wucht her unübersehbare Zeichen, Monumente. Die Brisanz seiner Materialien, Stahlschrott, altes Holz, verwitterte Fundstücke verdankt sich der Berührung mit Geschichte, die sich in von KZ- Häftlingen behauenen Steinen oder alten Militärstiefeln materialisiert. Hans Jürgen Breuste (Jg. '33), standorttreuer Hannoveraner, gelernter Pflasterer, expansiver Bildhauer und Marxist ist von Kiel bis Basel mit seinen provozierenden Objekten vertreten, hat zahllose Preise und Wettbewerbe gewonnen (zuletzt Kunstpreis der Niedersachsen-SPD) und stellt jetzt in Bremen aus. Mit Breuste und der speziell für diesen Raum entworfenen Installation startet das "Künstlerhaus am Deich" seinen Galeriebetrieb. „Weitergehen“ heißt Breustes Installation aus 1.000 rostigen Pralinenformen, Stoffstücken vom „Varta“-Gelände in Hannover, wo sich ein KZ befand, einem Textband hinter Panzerglas und einer Toncolloage von Steve Reich. Dazu Texte des Austromarxisten Ernst Fischer und Steve Reichs, der zum Thema „Jude — Eisenbahn“ schreibt. Breuste selbst beschreibt ein Paradox: „Resignation als Triebfeder.“ Die taz sprach mit Breuste.

Hierhin

bitte

Künstler

und

Werk

taz: Du arbeitest in Deinen Envirenments und Skulpturen mit altem Eisen, Holz, Textil, Leder. Das Material scheint wie von Geschichte durchtränkt.

Hans Jürgen Breuste: Ein Beispiel: Ich habe in Nürnberg mal zu einem Ereignis von Amnesty International ein Objekt machen wollen, und da kam ein Freund und sagte, ich habe hier große Steinquadern, mit denen du doch gern arbeitest. Ich hatte riesige Eisenkästen gebaut und wollte auch Steine da reinpacken. Er sagte mir, diese Steine sind aus Flossenbürg (in den Steinbrüchen von Flossenbürg mußten KZ- Häftlinge arbeiten / B.S.). Das sei doch gut, wenn die Leute wissen, wie diese Steine entstanden sind. Das wollte ich aber nicht. Die Eisenkästen genügten, da brauchte man nicht noch eine Geschichte dazu. Im Zusammenhang mit Amnesty International entstehen solche Assoziationen von allein. Das wird sonst zu pathetisch. Ich bin hier in Bremen im Hafen rumgelaufen und habe Draht gefunden. Ein Stück Draht. 99% würden das so sehen. Manche sagen auch, das hat vielleicht mit einer Strangulation zu tun oder mit Abschließen. Ein anderes Beispiel: 1971 in Nürnberg war ein Dürer- Symposium, da waren 30 Leute weltweit eingeladen, im Außenbereich zu arbeiten. Mein Thema war „Eine Stadt im Schatten Streichers“. Zu der Zeit lief der

Vietnamkrieg „auf vollen Touren“. Da gab es von Pete Seeger einen Song „Last Train to Nürnberg“, er sagt da, wir müssen alle noch mal nach Nürnberg zu einem Prozeß, denn jeder soll seine Hände mal angucken, ob da nicht ein Tropfen Blut sitzt. Da war „Streicher“ mir auf einmal viel zu direkt, viel indirekter ist da Seeger und sagt auch alles. Ich hatte dann diese „Overkill-Objekte“ dort, die sind aus Militärschrott, der aus einem umgedrehten Nürnberger Trichter herauskommt. Perverse Ergebnisse. Da muß das Material dann schon sprechen.

Spricht Militärschrott eine andere Sprache als normaler Industrieschrott?

In diesem Monat werden vier große Objekte in Peine aufgestellt. Vor zwei Jahren hatte ich beim Salzgitter-Konzern wegen Stahlresten angefragt. Dann habe ich mich lange dort umgetan und auch allerhand gefunden. Es sind sehr expressive Objekte, wo was zusammenstürzt: Da sind 3.500 Arbeitsplätze gefährdet. Die Peiner kommen also mit ihren vollen Einkaufstaschen auf den Parkplatz und sehen dieses riesige Eisenregal, wo Teile drin sind, die einige kennen, Peiner Träger u.s.w., und die sagen dann vielleicht, da haben wir uns über hundert Jahre für gequält. Und spüren, was sie an Banalitäten in den Einkauftaschen haben, wie klein ihre Autos daneben sind. Daß al

les relativ ist, was man tut. Das macht mir an meiner Arbeit Spaß, daß ich immer die Gelegenheit habe, etwas wohinzustellen. Und die Peiner bekommen ja auch einen Wertgegestand, schon allein die Masse, wenn das 200 Tonnen wiegt ...

Warum so gigantische Zeichen?

Die Wucht der Assoziationen spürt man hier stärker, wenn Masse vorhanden ist. Ich bin Bildhauer dann wohl doch.

Du hattest auch finanziell kühne Projekte...

Der Künstler als Desperado — man stürzt sich auf Dinge, wo kein Geld ist. Aber es läuft immer irgendwie weiter. In Holland 2.500 Lazarettliegen ... das hat drei Jahre gedauert, bis ich sie sehr billig bekommen konnte. Oder in Brüssel, Palais des beaux arts, das Ausstellungsprojekt mit 27.000 Paar alten kaputten Natostiefeln, das hat wegen des teuren Transports nicht geklappt. Dann war da dieses „Revolutionszeichen“ in Kiel, im Wettbewerb waren immerhin Leute wie Hrdlicka; der Auftrag ist erst nach zwei Jahren ausgeführt worden, und da waren die Metallpreise und Granit hochgegangen. Als ich fertig war, hatte ich erstmal 29.000 Mark Schulden.

Du bist gelernter Bauhandwerker.

Ich habe als Plattenleger gearbeitet. Mein rechtes Knie ist kaputt davon. Ich hatte einen italienischen Freund, der hat Mosaikarbeiten gemacht, und bin dadurch auch in die Kunst gekommen, daß ich die Realisierung für Bauaufträge übernommen habe. Ich habe zu der Zeit ganz einfache Holzobjekte gemacht, kubistisch, bißchen Hans Arp, Schwitters, und dann haben die gesagt: „Stell doch auch mal aus!“ In Hannover gab es eine jüdische Sammlerfamilie, die hat fast alles gekauft, was ich gemacht habe.

Du bist ein politischer Künstler

Kein Parteimitglied

Marxist?

Das find' ich schon ganz gut. Ich lese die tageszeitung, da ist man doch auch politisch festzulegen.

Hast Du je ein heiteres Ob...

Ja! Hab' ich. Ich mag sehr den französischen Physiker und Insektenforscher Jean Henry Fabre, der 1915 gestorben ist. Der hat auch nie Geld gehabt, aber Bücher geschrieben, war zum Nobelpreis für Literatur vorgeschlagen und hat ein Museum für seine Käfergeschichten gebaut. Da bin ich gewesen und habe gedacht, dem muß ich irgendwas schaffen. In Celle war ein Wettbewerb für das Arbeitsamt; da habe ich fünf Meter hohe Stangen, vergrößerte Schmetterlingsfänger, aufgestellt. Dazu ein Text von Fabre. Das finden die Leute gut: für Seifenblasen, die die Arbeitslosen pusten sollen. Dieser Mann hat 50 Jahre etwas gemacht, ohne Geld zu haben. Das ist vielleicht jetzt ein bißchen fies für die Arbeitslosen. Aber daß man etwas spielen kann trotzdem...

Interview: Burkhard Straßmann

Am Deich 68/69, nur noch bis zum 4.Juli!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen