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Diepgens Gruß läßt die Homos kalt

■ taz-Forum zur Homokrise/ Karneval oder Klassenkampf?/ Streit um Diepgens CSD-Grußwort

Mitte. Zwei Wachleute sicherten am Mittwoch abend das taz-Forum im Ostberliner »JoJo-Club«: Hetero in der Krise lautete das Motto — warum, wußte eigentlich keineR. Denn die Podiumsdiskussion sollte sich um »20 Jahre Lesben- und Schwulenbewegung« drehen. Nach anderthalb Stunden »gegenseitigen Anpinkelns« (so Ilse Kokula vom »Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen« beim Senat) kannten die über 60 ZuhörerInnen das wahre Thema: »Homo in der Krise«.

»Die Emanzipation der Homosexuellen bedeutete 1971 auch den Angriff auf den Kapitalismus«, erinnerte sich Bert Thinius. Der bevorstehende Berliner Christopher Street Day (CSD) sei dagegen eher Karneval als Klassenkampf, meinte der abgewickelte Homosexualitäts-Wissenschaftler der Humboldt-Uni. Auch bei den Lesben sei der Sturm aufs Patriarchat abgeflaut, bedauerte Sabine Hark. Die FU-Soziologin mit dem »heimlichen Schwerpunkt Lesbenforschung« kritisierte die inzwischen »ziemlich entpolitisierte Lesben- und Schwulenbewegung«.

»Eine ganz neue Tendenz« befürchtete Micha Schulze, freier »Schwulenjournalist« und mit 24 Jahren der jüngste auf dem Podium: Erstmalig habe mit dem Regierenden Bürgermeister Diepgen ein CDU- Politiker ein Grußwort zum CSD verfaßt. »Dem 13. Christopher Street Day Berlin wünsche ich ein gutes Gelingen«, schrieb Diepgen unter anderem an die CSD-Vorbereitungsgruppe. Die habe bei dem CDU-Politiker regelrecht »gebettelt«, kritisierte Schulze. Die Geste des Regierenden hält er für Kalkül: »Die Konservativen haben gemerkt, daß die Schwulen keine Gefahr sind und sich wunderbar in die Gesellschaft integrieren lassen.«

»Arroganz der Macht« und »Floskeln der Toleranz« vermutete auch der Journalist und Buchautor Elmar Kraushaar, mit 41 Jahren ein Schwulenbewegter der ersten Stunde. »Das ist nicht ernst zu nehmen«, meinte Christian Pulz, offen schwules Mitglied des Abgeordnetenhauses für Bündnis 90/ Grüne. Mit ähnlichen Lippenbekenntnissen wolle sich Diepgen auch bei AusländerInnen einschmeicheln. Pulz' Parteifreundin Halina Bendkowski erkannte »repressive Toleranz«. Ein Zuhörer wagte schließlich die Frage: »Könnte es nicht sein, daß Diepgen seine Meinung über Schwule und Lesben tatsächlich geändert hat?«

»Schwule sind noch immer vor allem Männer«, kritisierte Sabine Hark. Als Bündnispartner der Lesben kämen sie erst dann in Frage, wenn sie ihre gesellschaftlichen Männerprivilegien in Frage stellten. Marinka Körzendörfer vom Unabhängigen Frauenverband erinnerte sich: »Zu DDR-Zeiten hätten wir auf einer Demo bestimmt keinen getrennten Schwulen- und Lesbenblock gebildet.«

»Wann ist Schluß mit dem schwulen Konsens?« fragte Micha Schulze provokativ. Wenn sich inzwischen auch ein CDU-Politiker — wie in der Friedrichshainer BVV — offen zum Schwulsein bekennen könne, müsse die Homosexuellenbewegung nach einer neuen Basis suchen. »Die sexuelle Orientierung alleine reicht dafür nicht mehr aus«, erkannte Elmar Kraushaar.

»Und wo bleibt die Heterokrise?« fragte schließlich doch noch ein Zuhörer. Der für das Motto des taz-Forums verantwortliche Redakteur leistete Abbitte: Der Hetero-Titel sei nur als »Anreißer« gedacht gewesen. Offensichtlich überzeugte er wenigstens die Skinheads — die beiden Wachmänner kamen jedenfalls nicht zum Einsatz. Marc Fest

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