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Auf kräftige Männer angewiesen

■ Landesbeauftragte für Behinderte weist auf die Vielzahl der Probleme hin/ Eine halbe Million Betroffene/ Am hinderlichsten ist die Ignoranz in der Bevölkerung/ Zu wenig Infrastruktur

Berlin. Ein Mann betritt die U-Bahn. Er ist eindeutig gehbehindert, doch das scheint die übrigen Passagiere nicht zu interessieren. Konzentriert schauen sie in die Gegenrichtung. Erst als er seinen Schwerbehindertenausweis zückt und vernehmlich um einen Sitzplatz bittet, steht jemand auf. Eine alltägliche Begebenheit in Berlin. Fast eine halbe Million körperlich und geistig Behinderte leben in dieser Stadt mehr schlecht als recht. Um behindertengerechte Infrastruktur in der angeblich so weltoffenen Metropole ist es mehr als dürftig bestellt.

Angela Grützmann, Berlins Landesbeauftragte für Behinderte, wies gestern öffentlich auf die Probleme ihrer Klientel hin. Sie erhält fast täglich Briefe von Betroffenen. Viele finden keinen Arbeitsplatz oder keine behindertengerechte Wohnung, andere klagen über unzureichende Behindertenparkplätze oder gedankenlose Behördenentscheidungen. Neben der Frühförderung von Behinderten sowie den Arbeits- und Wohnmöglichkeiten ist die mangelnde Mobilität das offensichtlichste Problem. »Viele Bürger stellen sich immer noch gedankenlos auf reservierte Parkplätze«, beklagt Angela Grützmann. Auch habe man es nun endlich geschafft, die Bordsteine an Übergängen für Rollstuhlfahrer abzusenken, weil sonst eine Kreuzung ein unüberwindliches Hindernis ist, »aber jetzt parken die Autos drauf.«

Beispielhaft sind auch die neuen Züge der Bundesbahn: Rollstuhlgerechte Toiletten wurden eigens eingerichtet, doch um in die Züge hineinzukommen, so Grützmann, »muß die Bahnhofsmission immer noch ein paar kräftige Männer für den Rollstuhlfahrer auftreiben.« Die Bezirksämter sind oft nicht viel besser. So sichert das Tiefbauamt nach wie vor Baustellen auf Fußwegen mit Plastikbändern ab, für Blinde mit ihrem Stock nicht zu erspüren. So tastete sich kürzlich in Neukölln ein blinder Bürger direkt in die Baugrube.

Problematisch, so Grützmann, sei auch die Arbeitsmarktsituation für Behinderte. »Es geht doch nicht an, daß Behinderte nur in eigens gekennzeichneten Werkstätten Arbeit finden und dann mit einem Taschengeld abserviert werden und Sozialhilfeempfänger sind. Ich hätte mir gewünscht, mehr aus der Ex-DDR herüberzuretten«. Dort waren die Betriebe verpflichtet, mindestens zehn Prozent Behinderte einzustellen (im Gegensatz zum Westen konnten sich die Ostbetriebe von dieser Auflage nicht freikaufen), die voll integriert waren und zusätzlich zur ohnehin üblichen Invalidenrente angemessen entlohnt wurden.

Neben diesen Arbeitsplätzen sind momentan in Ost-Berlin auch zahlreiche Tagesstätten in Auflösung begriffen. Der Aufbau neuer Einrichtungen hat allerdings bisher kaum stattgefunden. Es liegt einiges im argen in der Behindertenpolitik, gesteht auch Grützmann.

»Es ist eine Politik der kleinen Schritte.« So ist es beispielsweise gelungen, das Amt der Behindertenbeauftragten in den Ostberliner Bezirken aus der Zeit der DDR herüberzuretten. »Es ist oft sehr hilfreich, die Probleme kieznah bearbeiten zu können.« Und die meisten Behinderten in Ost-Berlin sind nicht nur relativ immobil, sondern auch ohne Telefon. Jeannette Goddar

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