Flach wie ein Groschenheft

Um 20.15 Uhr geht beim ZDF Derrick zum 200. Mal auf die Pirsch  ■ Von Martin Compart

Das Unheil begann vor 17 Jahren, genau am 20.Oktober 1974: Erstmals schlurften Derrick und sein noch schlanker Assistent Harry zu einem Tatort. Den ZuschauerInnen war der Täter allerdings längst bekannt, denn die ersten Derrick-Folgen waren nach dem „inverted-story“-Konzept von Columbo (der Zuschauer kennt den Täter und beobachtet die Aufklärung) gestrickt. Nach ein paar Folgen war Schluß damit. Das Publikum hatte nämlich erkannt, daß von Derrick-Schreiberling Herbert Reineckers Skripten nichts, aber auch nichts übrig bleibt, wenn er auch noch den Täter von Anfang an benennt. Da hatte sich der Derrick- und Kommissar-Erfinder selbst überfordert.

Reinecker konnte schon damals auf eine große Karriere zurückblicken: Im „Dritten Reich“ war er u.a. Redakteur der Pimpfe-Zeitschrift 'Jungvolk‘ und schrieb Drehbücher zu ekligen Filmen. Sein Film Junge Adler erhielt gar von Goebbels das Prädikat „staatspolitisch und künstlerisch wertvoll“, und der auf einem Roman von ihm basierende Luise- Ulrich-Film Der Fall Rainer wurde von mildtätigen Alliierten nach dem Krieg verboten. In den fünfziger und sechziger Jahren half Reinecker tatkräftig mit, den deutsche Film endgültig zu versenken. Aus seiner Feder stammten Vorlagen für Machwerke wie Stern von Afrika, Taiga oder Kitty und die große Welt. Anschließend rettete er sich ins Fernsehen, wo er es mit Dreiteilern wie Der Tod läuft hinterher und dem schamlosen Sittengemälde Der Kommissar zur Unsterblichkeit brachte. Als absehbar war, daß sich Erik Ode bald zum letzten Mal mit seinen drei Assistenten in einem Mittelklassewagen zwängen würde, um Hippies, aufmüpfigen Jugendlichen und geilen Mittelstandsunternehmern zu zeigen, wo es lang geht, beschloß das ZDF rechtzeitig eine Folgeserie.

Der inzwischen völlig enthemmte Reinecker machte sich an den dritten Grad für intelligente Zuschauer und schuf Derrick. Um das Maß voll zu machen, holte man sich als Hauptdarsteller den Bilderbuchspießer Horst Tappert und den charismatischen Fritz Wepper, dessen restringierter Code heute schon Kultstatus hat („Du, Stefan“). Tappert, der immer peinlichen Blödsinn darüber erzählt, wie sehr er doch mit Derrick das Bild des deutschen Beamten im Ausland rehabilierte, hatte noch 1974 verkündet: „Derrick soll etwas von der absoluten Männlichkeit, von der Melancholie, der Verschlossenheit und dem Zynismus eines Humphrey Bogart“ haben. Das hat ja bekanntlich nicht geklappt. Eher ähneln Tappert und sein feister Assistent einer kleinstädtischen Ausgabe von Dick und Doof. Aber seitdem ist viel Zeit vergangen, und für Millionen von Menschen ist alle paar Wochen freitags Derrick-Tag.

Im Gegensatz zu anspruchsvolleren Fernsehkrimis braucht man sich beiDerrick nicht zu konzentrieren: Die Dialoge sind dumpfer als lallende Kneipengespräche, die Charaktere flach wie ein Groschenheft (weshalb so viele gute Schauspieler in ihren Derick-Rollen auch immer gnadenlos chargieren), und „Reineckers Plot ist zumeist von der Raffinesse einer Lotto-Ausspielung, seine Charakterzeichnung kann es mit der Subtilität von Was bin ich? aufnehmen, sein Dialog ist so originell wie der Wetterbericht.“ (Rolf Becker in 'Der Spiegel‘ Nr.49/1974). Nun ist also die 200. Folge erreicht, und alle freuen sich.

Produzent Ringelmann und das ZDF verkünden ja gerne jeden weltweiten Erfolg ihres Tele-Valiums. So ließen sie noch 1989 verlauten, die Serie laufe in vierzig Ländern; 1990 behaupteten sie schon frech: in 98! Eine Art Zellteilung — oder werden da indische Bundesländer und brasilianische Provinzen mitgezählt? Bisher hat man jedenfalls nicht detailliert aufgelistet bekommen, in welchen Ländern und vor allem, von welchen Stationen Derrick ausgestrahlt wird. Wenn der offene Kanal von Pittsburgh für seine deutschstämmigen Mitbürger mal eineDerrick-Folge ausstrahlen würde, hieße es sicher gleich: Amerika begeistert von Derrick!