Germanistenschlacht um Kleist

Die historisch-kritische Kleist-Ausgabe künftig in Brandenburg  ■ Von Jürgen Berger

Was da vor drei Jahren als BKA angekündigt wurde, klang erst wie ein matter Scherz. Denn welches Interesse sollte die Fa. Herold auf einmal an dem preußischen Dichter Heinrich von Kleist nehmen? Aber natürlich hatte die „Berliner Kleist-Ausgabe“, kurz BKA, nichts mit dem Bundeskriminalamt zu schaffen. Dennoch versteht sie es offenbar, die germanistische Fachwelt und das bundesdeutsche Feuilleton in Atem zu halten — als erste historisch-kritische Edition der Werke Kleists. Zwei junge Heidelberger Germanisten, Roland Reuß und Peter Staengle, machen seither wahr, was eine Clique älterer Germanisten seit Jahrzehnten lediglich ankündigt: die Fehler wieder auszumerzen, die verschiedene Herausgeber im Laufe der Editionsgeschichte in die Texte Kleists fabrizierten. Inzwischen wird die im Frankfurter Verlag Stroemfeld/Roter Stern) erscheinende BKA überall gelobt, und selbst die mißtrauische Germanistenzunft kann nicht umhin, die Leistungen der beiden Jungforscher anzuerkennen.

Wie in solchen Fällen üblich, suchten Reuß/Staengle um finanzielle Unterstützung für ihre zeitaufwendige Forschungsarbeit nach, während der Verlag für die Druckkosten gradestand. Berlin sollte etwas für die Ehre der Namenspatronage tun, aber die Befürworter des Antrages im ehemals rot-grünen Senat konnten sich nicht durchsetzen.

Schon damals kündigte der Verlag an, daß die Ausgabe unter diesen Umständen nicht mehr an Berlin gebunden sein könne. Jetzt ist klar, wohin die Reise geht und sie kurz sein wird. Das neue Bundesland Brandenburg hat seine Liebe zu Kleist entdeckt, und will die Berlin-Schmach vergessen machen. Alles sieht also danach aus, als werde die BKA künftig „Brandenburgische Kleist-Ausgabe“ heißen.

Im brandenburgischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur hat man zwar kein Geld, will aber ein kulturpolitisches Zeichen setzen. Im Schloß Neubrandenburg will man eine Arbeitsstelle einrichten, die Ausgabe erscheint in Frankfurt an der Oder, dem Geburtsort Kleists; Bonn will einen Teil der benötigten Gelder zuschießen.

Hartmut Vogel, zuständiger Referatsleiter für Angelegenheiten der Sprach- und Literaturförderung im Bundesinnenministerium, spricht von der „kulturpolitischen Dimension“ der BKA. Das hat auch mit der Gestaltung der Ausgabe zu tun: „Ein wichtiges Kriterium besteht für uns in der Lesbarkeit der BKA, die nicht nur für einen kleinen Expertenkreis von Wissenschaftlern konzipiert wurde. Wäre das nicht der Fall, könnten wir sie nicht fördern.“

Als weiterer potentieller Geldgeber ist seit neuestem auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Gespräch. Daß man sich dort inzwischen für die BKA erwärmt, sorgt allerdings für Turbulenzen. Es geht um Forschungsgelder, und das macht einige altvordere Ankündigungsweltmeister nervös. Es geht um Pfründe, die man um Himmels willen nicht gefährdet haben will. Die Hochschulgermanistik, allen voran Hans Joachim Kreutzer, Professor in Regensburg und Vorsitzender der Kleist-Gesellschaft, bläst zum letzten Gefecht.

Im Gespräch mit Kreuzer wird man schnell belehrt:Man solle doch im Falle der bisher vorgelegten BKA-Bände nicht von einer historisch-kritischen Ausgabe sprechen, denn das sei sie nun einmal nicht, und von wissenschaftlich fundierter Arbeit könne bei den beiden jungen Kleistianern schon gleich gar nicht die Rede sein. Fragt man allerdings nach den konkreten Kritikpunkten, treten Kommunikationsprobleme auf. Hans Joachim Kreutzer verweigert die Aussage und spricht von der fachlichen Kompetenz, die für ein Gespräch über solche Details nötig sei.

Sich selber meint er damit nicht — wie könnte er auch, bereitet er doch seit zwei Jahrzehnten mit Unterstützung der DFG eine kritische Kleist- Ausgabe vor. Das löbliche Projekt hat nur einen winzigen Schönheitsfehler: Hans Joachim Kreutzer konnte nie Resultate vorweisen, und eines Tages fiel das auf. Manfred Briegel, fachzuständiger Referent bei der DFG, bestätigt dies, weiß aber nur von einem Geldrinnsal in Richtung Regensburg: „In den Jahren 1976 und 1977 gab es eine kurzfristige Förderung, die nicht fortgesetzt wurde, weil von seiten Herrn Kreutzers nichts kam, und wir bis heute auf Ergebnisse warten.“

Man war unzufrieden geworden. Das muß sich allerdings über längere Zeit angebahnt haben, wie man in den Jahresberichten der DFG nachlesen kann. Danach hat der Regensburger Professor schon in den Jahren 1971-76 „Sachbeihilfen zur Vorbereitung einer historisch-kritischen Kleist-Ausgabe“ erhalten. Merkwürdig, daß trotz des angeblichen Förderendes im Jahre 1977 weiter gezahlt wurde. Genaue Summen werden in den Berichten nicht genannt; will man mehr wissen, muß man eine Richtigstellung aus dem Hause der DFG zur Hand nehmen. Dort ist zu lesen, 1976/77 sei eine Summe von 140.000 Mark nach Regensburg geflossen. Rechnet man das auf die Jahre hoch, in denen der Name Kreutzer unter der Rubrik „Sachbeihilfen“ auftaucht, gerät man in die Nähe einer glatten Million.

Delikat wurde die Angelegenheit für die DFG, als Reuß/Staengle ihre real existierende BKA vorlegten und ebenfalls einen Antrag auf Förderung stellten. Plötzlich lagen zwei Editionspläne auf dem Tisch, und siehe da: Die Germanistische Fachkommission der DFG sprach sich gegen eine weitere Förderung Hans Joachim Kreutzers aus und votierte für die BKA. Zwar ist das eine inoffizielle Empfehlung, der Regensburger Professor machte sie aber in einem Rundbrief an Kollegen bereits publik. In diesem Schreiben befürchtet er, es werde zu „einer Förderung der sogenannten Berliner Ausgabe“ kommen.

Nicht genug damit, daß dies auch einem Eingeständnis der DFG gleichkäme, über Jahre hinweg auf das falsche Pferd gesetzt zu haben — nun trottet dieses Pferd zu allem Übel nicht etwa ruhig auf die grüne Wiese, sondern bringt den ganzen Germanistenstall durcheinander. Das Schicksal der ganzen Kleist-Gesellschaft scheint für Kreuzer damit in Frage gestellt. In seinem Rundbrief ist weiter zu lesen: „Ich hatte und habe die Absicht, die Kleist-Gesellschaft 1992 in Frieden und in guter Ordnung in andere Hände zu geben. Aber das liegt jetzt nicht mehr ausschließlich in meiner Hand. Diejenigen, die das Votum der germanistischen Kommission ausgelöst haben, sind die gleichen, die für die Kleist- Gesellschaft verantwortlich sind.“ Eine Drohgebärde in Richtung DFG.

Roland Reuß, Mitherausgeber der BKA, befürchtet nicht, man könnte dort eingeschüchtert reagieren: „Ich denke, unsere Kleist-Ausgabe ist wissenschaftlich nicht angreifbar. Trotzdem setzte Herr Kreutzer bisher alles daran, unsere Arbeit zu behindern, so daß ich mich allmählich frage, wie er sein Verhalten mit seinen Aufgaben als Präsident in Einklang bringt. Laut Satzung wäre er dazu verpflichtet, Initiativen wie die unsere zu unterstützen, und ginge es mit rechten Dingen zu, müßte sein Verhalten innerhalb der Kleist-Gesellschaft schon längst zu Konsequenzen geführt haben.“ Ungeachtet aller Turbulenzen stellt man gerade den vierten Band der BKA fertig und eröffnet nach drei Erzählungen mit dem Amphitryon die Abteilung „Drama“.

Komödie oder Tragödie lautet hier die Frage, und wie bei einigen Stücken Kleists ist man sich auch bei den Vorgängen um die BKA nicht so sicher, ob‘s zum Weinen ist oder Lachen. Am besten wohl, man hält sich an den Sosias, der im Amphitryon meint: „Jedoch vielleicht geht's dem Hanswurst wie mir,/Und er versucht den Eisenfresser bloß,/Um mich ins Bockshorn schüchternd einzujagen./ Halt, Kauz, das kann ich auch.“ Also denn, sei's eine Komödie.