Spiele-Erfinder gründen eine Gewerkschaft

In Göttingen treffen sich heute die Spiele-Autoren zum alljährlichen Diskussionsforum/ Auch die Verlage werden dort nach umsatzversprechenden Spielideen Ausschau halten/ taz-LeserInnen sind dabei — bei einem neuen Spiel für vier Personen  ■ Erfunden von Peter Huth

Inhalt der Spielschachtel:

—1 Spielplan

—4 Spielfiguren, jeweils eine rote, grüne, gelbe und schwarze

—20 Spielideekarten

—160 Reaktionskarten

Die Spielsituation

Seit 1983 treffen sich regelmäßig am letzten Wochenende vor Beginn der niedersächsischen Sommerferien die Spiele-ErfinderInnen in Göttingen, um ihre neuesten Ideen vorzuführen, Erfahrungen auszutauschen — und auch ihre finanziellen Probleme zu besprechen.

In diesem Jahr steht ein neuer Punkt auf der Tagesordnung: Heute soll eine Gewerkschaft für Spiele- Erfinder, die Spiel-Autoren-Vereinigung (SAV), gegründet werden. Während des Spiels lernen die Mitspieler die Nöte und Sorgen der Autoren kennen, die dieses und andere Gesellschaftsspiele erfunden haben, ebenso die Interessen der Verlage, die vom Spieltrieb profitieren. Die SpielerInnen schlüpfen in die Rollen der vier Interessengruppen auf dem Göttinger Spiele-Autoren-Tag: Ein Spiel-Erfinder vom SAV, eine Verlagsmanagerin, ein Spielekritiker und eine Spielerin.

Ziel des Spiels

Die vier SpielerInnen verfolgen unterschiedliche Ziele.

Der Spiel-Erfinder will seinen Berufsstand „Spielautor“ im öffentlichen Bewußtsein etablieren und einen Mustervertrag gegenüber der Verlagsmangerin durchsetzen. Mit der SAV will er die soziale Absicherung durch die Künstlersozialkasse erreichen, sowie die Einrichtung einer Verwertungsgesellschaft Spiel, über die er im Falle des Ideenklaus wenigstens etwas Geld bekommt.

Die Verlagsmanagerin will gute Spiel-Ideen möglichst billig vom Erfinder kaufen, die Spiele möglichst günstig produzieren und profilierte ErfinderInnen langfristig an ihren Verlag binden.

Die Spielerin will möglichst viele interessante Spiele entdecken, zu möglichst günstigen Preisen.

Der Spielkritiker träumt von seiner Berufung in die Jury des unabhängigen Kritikerpreises „Spiel des Jahres“ und will deshalb besonders spitze Artikel schreiben.

Vorbereitung

Der Spielplan wird ausgebreitet, die vier Gruppen ausgelost, die Figuren auf die vier entsprechenden Startfelder verteilt. Die Möglichkeits- und Reaktionskarten werden vom SAV- Spiele-Erfinder gemischt und jeweils zehn an die MitspielerInnen verteilt.

Der Rest wird beiseite gelegt. Die Spielideekarten werden ebenfalls gemischt und verdeckt in die Mitte des Spielplanes gelegt.

Spielregeln

Die oberste Spielideekarte wird umgedreht und vorgelesen. Beispiel: Egon Krenz präsentiert die spielerische Umsetzung seiner friedlichen Revolution auf dem Platz des Himmlischen Friedens.

Die Karten der SpielerInnen zeigen ihnen an, wie sie auf eine Spielidee reagieren können. Auf jeder Karte steht für jede Spielpartei ein Argument, mit dem sie entweder positiv oder negativ auf die Spielidee reagieren können. Die Startspielerin entscheidet sich für eine Reaktion, liest ihr Argument vor und legt die Karte offen vor sich hin. Hinter jedem Argument steht eine Zahl (1) bis (10), nach der das Argument gewichtet wird.

Beispiel: Der Spiele-Erfinder argumentiert für das Spiel, weil der Autor grundsätzlich nur zu den SAV- Mustervertragsbedingungen das Spiel dem Verlag überlassen will: Mindestens 10 Prozent Honorar, Auslands- und Nebenrechte bleiben beim Autor, Sichtung des Reinentwurfes vor der Produktion ist gewährleistet. Seine Argumente sind mit (7) gewichtet.

Die drei anderen müssen sich nun entscheiden, ob sie mit dem ersten Argument mitziehen oder dagegen halten. Sie legen ihre Karte verdeckt vor sich hin. Beispiel: Die Spielerin findet politisch orientierte Spiele ohne Mord und Todschlag grundsätzlich langweilig. (1)

Die Verlagsmanagerin lobt das Spiel, grundsätzlich auch die Initiativen des SAV, will aber den Autor überzeugen, daß er mit den derzeit üblichen fünf Prozent vom Nettopreis doch zufrieden sein kann. Sie verlangt sogar, daß er mit zwei Prozent zufrieden sein muß, wenn es dem Verlag gelingt, Honnecker als Werbeträger für das Spiel zu gewinnen. Mitspracherechte bei der Gestaltung werden nicht grundsätzlich abgelehnt. Doch behält sie sich das letzte Wort vor. Da der Spielautor nicht einsichtig ist, muß das Spiel leider abgelehnt werden. (10)

Der Spielkritiker entdeckt, daß er ein ähnliches Spiel selbst erfunden hat, er es nur aus seiner Schublade ziehen müßte — und schreibt einen fürchterlichen Verriß. (1)

Nun werden die drei Karten gleichzeitig aufgedeckt und die Argumente vorgelesen. Die Punktzahlen pro und kontra werden addiert, und die SpielerInnen der stärkeren Partei dürfen ihre Figuren ein Feld weiterrücken. Bei Punktgleichheit bleibt der Status quo auf dem Spielbrett erhalten. Bei nur pro oder nur kontra Argumenten müssen alle ein Feld zurück.

Das Ganze setzt sich im Uhrzeigersinn fort. Die SpielerIn, die zuerst ihr Zielfeld erreicht, hat das Spiel gewonnen. Auf dem Weg zum Ziel sind auf dem Spielplan aber einige Handicapfelder zu überwinden. So erhalten die Verlage wegen ihrer starrköpfigen Haltung permanent eine schlechte Presse. Landet die Verlegerin auf diesem Handicap- Feld, werden die Pressepunkte automatisch dem Erfinder zugeschlagen.

Auf der SAV-Seite wiederum gelingt es nicht, alle prominenten Autoren in den Verband zu integrieren, was dem Kritiker die Argumentpunkte bringt, da er spöttisch darüber schreiben kann.

Der Kritiker wiederum verliert seine Punkte an die MitspielerInnen, wenn er auf dem Kungelfeld landet: Er hat seine Berichterstattung zu nahe an den Großen in der Branche orientiert. Und die Spielerin verliert Punkte an die Verlagsmanagerin, wenn sie zu sehr dem Kritiker glaubt und blind das kauft, was der empfohlen hat.

Taktik

Es ist durchaus möglich, Koalitionen zu bilden. Diese dürfen allerdings nicht verabredet werden, sondern sollten durch Gespühr und unterstützendes Kartenauslegen entstehen.