EG-Gipfel: Bazar der Beliebigkeiten

Staats- und Regierungschefs wollen Bilanz ziehen/ Teilmitgliedschaft für Osteuropäer?  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Bestandsaufnahme ist angesagt, wenn sich die EG-Staats- und Regierungschefs heute und morgen in Luxemburg zu ihrem halbjährlichen Gipfel treffen. Zur Halbzeit der Ende letzten Jahres begonnenen Regierungskonferenzen für die Wirtschafts- und Währungsunion sowie die politische Union sollen vor allem die Fortschritte gerühmt werden. Als Stimmungsmacher haben sich die Europa-Lenker den Präsidenten der EG-Kommission eingeladen. Die Harmonisierung der Verbrauchssteuern, ein Meilenstein auf dem Weg zum vereinten Europa, stünde unmittelbar bevor, weiß Delors zu berichten. Auch sei der Wegfall der Binnengrenzen einschließlich Harmonisierung der Asylpolitik so gut wie beschlossen.

Noch optimistischer gibt sich der Luxemburger Premierminister und amtierende EG-Ratspräsident Santer. Die angestrebte Wirtschafts- und Währungsunion mit gemeinsamer Währung ließe sich — von wenigen Details abgesehen — im Prinzip schon heute unterzeichnen. Nur bei der politischen Union gäbe es noch Fußangeln. Doch diese ließ der Gipfel-Gastgeber geschickt vom Programm nehmen. Schließlich will er sich seine Abschlußparty nicht von Streitereien um eine EG-Verfassung oder etwa ihren föderativen Charakter verderben lassen.

Stattdessen hat Santer das gesamte Repertoire der beiden Regierungskonferenzen aufgelegt — angefangen von der unendlichen Reform der gemeinsamen Agrarpolitik über die Tragödie der EG-Sozialpolitik bis hin zur Frage, wie das Europaparlament am Entscheidungsprozeß möglichst wenig beteiligt werden soll. Die beiden EG-Größen Kohl und Mitterrand sind darüber etwas verstimmt, wollten sie doch ihre Parts — die innere und äußere Sicherheit der EG — in den Vordergrund gerückt sehen. Beim Gerangel um die Themenliste wußte sich jedoch der britische Major als Advokat für die Schwestern und Brüder in Nord-, Ost- und Südosteuropa durchzusetzen: Sie sollen endlich mitspielen dürfen.

Ähnlich seiner Vorgängerin gefällt er sich als Bremser der EG-Integration. Schließlich sei ein zentralistischer Superstaat mit von der Nato abgekoppelter Sicherheits- und Rüstungspolitik im Entstehen, der die Souveränität der britischen Regierung untergrabe. Beistand erhält er von dem niederländischen Außenminister van den Boek. Dieser boykottiert jeden Versuch, der EG mit Hilfe der WEU einen eigenständige Militärapparat zur Seite zu stellen. Das 1954 gegründete westeuropäische Verteidigungsbündnis, an dem nur neun der zwölf EG-Staaten beteiligt sind, wird zur Zeit als Keimzelle einer gemeinsamen EG-Sicherheitspolitik gehandelt.

Eine Ausweitung der EG, so das Kalkül der Bremser, würde den Integrationswillen der EG-Fans behindern. Angeblich aus diesem Grunde hatte sich der für Außenwirtschaft zuständige niederländische EG- Kommissar, Frans Andriessen, bereits im Mai einen Kompromiß ausgedacht, der heute „thematisiert“ werden soll. Er möchte den osteuropäischen Reformländern Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei eine „Teilmitgliedschaft“ anbieten. Zu dem illustren Kreise sollen vielleicht auch bald die anderen potentiellen Beitrittskandidaten wie die EFTA- Staaten Österreich, Schweiz mit Liechtenstein, Schweden, Norwegen, Finnland und Island gehören, mit denen die EG über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum verhandelt.