Israels Medien ignorieren Tikkun-Treffen

Die Jerusalemer Konferenz stößt dennoch auf reges Interesse/ Neue Strategien der israelischen Friedensbewegung werden beraten/ Arabische Israelis kritisieren ihren bisherigen Ausschluß  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

An der 'Tikkun‘-Konferenz in Jerusalem nehmen ungefähr 500 Leute aus Israel, den USA und verschiedenen anderen Ländern inklusive Deutschland teil. Am zweiten Tag der Sonntag begonnenen Veranstaltung sprachen prominente Mitglieder israelischer Oppositionsparteien und der israelischen Friedensbewegung, wie Zali Reshef (Peace Now), Lea Schakdiel (Mitglied des religiösen Beirats der Entwicklungsstadt Jerucham im Negev) und Vertreter der „Panther“ und des „Orients für Frieden“ — zwei sephardische Gruppen innerhalb der israelischen Friedensbewegung. Alle begrüßten die Initiative der Herausgeber der amerikanisch-jüdischen, liberalen Zeitschrift 'Tikkun‘ und ihres Chefredakteurs Michael Lerner, der die Jerusalemer internationale Beratung über neue effektivere Strategien und ein gemeinsames Vorgehen liberaler, progressiver Juden in der Diaspora mit der israelischen Friedensbewegung in die Wege geleitet hat.

Thema der Redebeiträge war die Notwendigkeit, mehr Unterstützung für die israelische Friedensbewegung zu gewinnen, deren gegenwärtige Schwäche niemand bestritt. Vor allem will man unter den Israelis orientalischer Herkunft und in den religiösen Schichten Sympathisanten werben. Doch wurden nur wenige konkrete praktische Vorschläge zur Durchführung eines solchen Programms vorgebracht.

Eine Plenarsitzung war der Frage der problematischen Beziehung zwischen der Friedensbewegung und dem religiösen Judaismus gewidmet. Wegen der Vielzahl religiöser Strömungen (auch innerhalb der großen Hauptbewegungen im jüdisch- religiösen Lager) kann man schwer von einem einheitlichen Zugang zu den verschiedenen Arten des Judaismus sprechen. Dies machte die Diskussion schwierig — vor allem, weil sich in Israel verschiedenste Formen von Religiosität mit der Politik der verschiedenen religiösen Parteien vermischen, die außerdem alle an der Regierungskoalition Schamirs beteiligt sind. Andererseits ist der Einfluß der liberal-progressiven Juden in den USA im Wachsen. Aber gerade sie wandern nur selten nach Israel ein. Frau Yael Dayan, die Tochter von Mosche Dayan und Aktivistin der Dachorganisation „Reschet“ für Frauen-Friedensgruppen in Israel, stellte in diesem Zusammenhang fest, daß der Kampf für einen gerechten Frieden mit den PalästinenserInnen und Nachbarstaaten nur in Israel selbst geführt werden kann. In Bezug auf die Kritik, die israelische Friedensbewegung trage zu wenig dazu bei, die religiösen und „orientalischen“ Kreise einzubeziehen, meinte Frau Dayan, daß die Friedensbewegung für jedermann offen sei. Die progressiv-religiöse Rednerin Lea Schakdiel hielt dagegen, daß die israelische Friedensbewegung in verschiedene „Ressorts“ aufgeteilt werden müßte, um den Interessen aller Bevölkerungsschichten entgegenzukommen. Nur wenige arabische BürgerInnen Israels waren eingeladen, um sich an den Diskussionen der Konferenz zu beteiligen. Aber einige waren erschienen und beklagten sich über die Nichteinbeziehung der arabischen Minderheit (18 Prozent der israelischen Bevölkerung) in die israelische Friedensbewegung. Schließlich sei bekannt, daß eine große Mehrheit gerade unter den arabischen BürgerInnen Israels den Kampf für den Frieden intensiv unterstütze. „Erst in der letzten Zeit hat ,Peace Now‘ die Zusammenarbeit mit den Arabern Israels ,freigegeben‘. Vorher hat man auch uns als ,störendes Element‘ betrachtet“, erklärte Saliba Khamis aus Nazareth. Einige Konferenzteilnehmer, vor allem der Mapam, betonten den engen Zusammenhang sozialer und wirtschaftlicher Probleme mit den Forderungen der Friedensbewegung. Israel müsse sich entscheiden, ob es ein demokratisches Land sein wolle, das eine große Zahl von NeueinwanderInnen (vor allem aus der Sowjetunion) aufnehmen könne oder ob Israel das vorhandene Geld in die Besiedlung und Entwicklung der besetzten Gebiete investieren wolle. Israel sei nicht in der Lage, beiden Aufgaben gerecht zu werden, betonte der Knesset-Abgeordnete der Mapam, Jair Zaban. Die „Größe Israels“ sei „nicht in den geografischen Dimensionen und den kolonialen Aspirationen“ zu suchen, sagte er.

Nach einer Lesung des hebräischen Dichters Nathan Zach hielt der Konferenzinitiator Michael Lerner seine Ansprache, in der er auch sein Programm der „Incentives for Peace“ unterbreitete. Lerner schlägt vor, daß Washington einen massiven Marschallplan (75 Milliarden Dollar im Laufe von fünf Jahren) für die Integration von NeueinwanderInnen und „orientalen Schichten“ in Israel zur Verfügung stellt; Israel müsse „als Gegenleistung“ die Schaffung eines entmilitarisierten Palästinenserstaates in den besetzten Gebieten gestatten, der von einer israelischen Sicherheitszone mit israelischem Militär umzingelt bleiben soll. Mit der israelischen Friedensbewegung solidarisch erklärte sich dann der Senator aus Minnessota Paul Wellstone, der als Gast gekommen war und großen Beifall erntete.

Feisal Husseini, palästinensischer Führer aus Ostjerusalem sollte vor der Konferenz sprechen, blieb jedoch wegen des islamischen Feiertags weg. Die radikaleren Teile der israelischen Friedensbewegung kamen einstweilen nicht zu Wort. In den israelischen Medien herrscht — mit ganz wenigen Ausnahmen — Schweigen: das 'Tikkun‘-Ereignis wird einstweilen ignoriert. Aber vor dem Konferenzraum im „Hebrew Union College“ in nächster Nähe des Kind David Hotels im Zentrum Jerusalems gab es wiederholt Protestdemonstrationen der rechtsextremen „Kahana-Kach“-Organisation.