Kumpanei zwischen Neonazis und Polizei?

Sachsen ist Hochburg des Rechtsradikalimus/ Polizei und Stadtverwaltung in Dresden begünstigen neofaschistische Aktivitäten/ Polizeigewerkschafter beklagen Schwäche und miese Ausbildung der Polizisten/ Die Politiker wiegeln ab  ■ Von Bernd Siegler

Als am 15. Juni der bislang größte Aufmarsch von Rechtsradikalen in der Ex-DDR unter dumpfen Trommelschlägen durch Dresden zog, schauten 16 Hundertschaften der Polizei zu. Dresdens CDU-Oberbürgermeister Herbert Wagner hatte den Aufzug genehmigt. Als die Neofaschisten gegen die Auflagen verstießen und mit erhobenen rechten Armen „Sieg Heil!“ skandierten, ließen es die Beamten geschehen.

„Die Rechtsradikalen wissen, daß die Polizei schlecht mit ihnen umgehen kann“, betont Klaus Steffenhagen, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Er nimmt seine Kollegen vor den jüngsten Angriffen in Schutz, Polizisten würden in den fünf neuen Bundesländern gemeinsame Sache mit Neofaschisten machen. Zusammen mit seinem Bundesvorsitzenden Hermann Lutz hält er es für einen Skandal, daß ausgerechnet Sachsens Innenminister Rudolf Krause glaubt, ein Vierwochenkurs reiche aus, die Beamten für ihre Arbeit zu qualifizieren und deren „Immunsystem gegenüber radikalen Strömungen“ zu stärken.

Sachsen ist die Hochburg des Rechtsradikalismus in der Ex-DDR, Dresden gilt als „Hauptstadt der Bewegung“. Dort etablierte der von Zuhältern erschossene Neonazi- Führer Rainer Sonntag seinen „Nationalen Widerstand Deutschlands“. Sonntags Mannen übten Selbstjustiz: In Patrouillen von zehn Mann zogen sie durch die Prager Straße, verprügelten Hütchenspieler, ketteten sie an Laternenmasten an und riefen die Polizei. Die Beamten nahmen die Ergriffenen fest, die Selbstjustiz blieb ohne Konsequenzen.

Sonntag überstand als stadtbekannter Neonazi eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren. Ob als Drahtzieher einer Hausbesetzung im November 1990 in der Rabenauerstraße, ob als Initiator der verbotenen „Schutzstaffel Ost“ oder als Beteiligter an den Krawallen, die zum Abbruch des Europapokalspieles von Dynamo Dresden gegen Roter Stern Belgrad führten — immer hatte er seine Finger drin. Als Sonntag erschossen wurde, zog die Polizei plötzlich alle Register, über Interpol wurde nach den Mördern gefahndet, wenige Tage später wurden sie in Bangkok festgenommen.

Bei den Tätern des Mosambikaners Jorge Gomondai, der von Skinheads aus einer Straßenbahn gestoßen wurde, war die Polizei nicht so eifrig. Sie hielt den schwerverletzt daliegenden Gomondai für betrunken und lehnte es ab, die Personalien von Zeugen und der noch in der Straßenbahn sitzenden mutmaßlichen Täter festzustellen. Erst als Gomondai starb, begannen die Ermittlungen. Dresdens Oberstaatsanwalt Schwalm war über die Verschleppung so erzürnt, daß er den Beamten Konsequenzen androhte. Inzwischen sind sechs der gesuchten Jugendlichen bekannt. — Die Dresdner Ausländerbeauftragte Marita Schieferdecker-Adolph hat eine „Stinkwut“ auf die Polizei. So werden Anzeigen von Ausländern, die angegriffen worden sind, oft nicht einmal aufgenommen. „Viele Betroffene haben auch Angst vor Gegenüberstellung und ausländerrechtlichen Konsequenzen.“ Und festgenommene Rechtsradikale seien in der Regel nach wenigen Stunden wieder auf freiem Fuß. Ungeachtet dessen weist Sachsens Innenminister Krause die vom Fernsehmagazin Report erhobene Anschuldigung vehement zurück, innerhalb der Polizei mache sich eine Sympathisantenbewegung für die Rechtsradikalen breit. Dabei hatte Polizeioberkommissar Kießling vom Polizeilagezentrum Dresden vor laufender Kamera erklärt, daß er sich insbesondere bei jungen Kollegen eine Mitarbeit in rechtsradikalen Gruppierungen vorstellen könne.

Ein Beamter der Zentralen Schutzpolizei arbeitet gar mit den Leibwächtern des ermordeten Sonntag zusammen und kutschiert diese mit seinem Privatauto zum nächsten „Einsatz“. GdP-Mann Steffenhagen erwartet jetzt von den Innenministern der neuen Bundesländer, daß in rechtsradikalen Gruppierungen aktive Polizisten mit sofortiger Entlassung und Bestrafung zu rechnen haben.

Doch nicht nur die Polizeibeamten sind verantwortlich zu machen für die Zunahme rechtsradikaler Aktivitäten, sondern insbesondere deren Verharmlosung durch offizielle Stellen. Dresdens OB Wagner bestreitet hartnäckig, seine Stadt sei Zentrum der Bewegung. Er macht das „sorgenvolle Händereiben der Medien“ für die zunehmenden rechtsextremen Aktivitäten verantwortlich und trägt mit seiner Genehmigungspraxis selbst dazu bei, den Rechten Agitationsraum zu verschaffen.

So konnte der Geschichtsrevisionist David Irving mehrfach in Dresden in städtischen Sälen seine Thesen zur „Auschwitz-Lüge“ ungehindert zum besten geben. Mit Genehmigung der Stadt zogen am 20. Oktober letzten Jahres überdies fünfhundert Neofaschisten unter Führung von Michael Kühnen durch die Straßen der Elbmetropole und skandierten „Deutschland den Deutschen — Ausländer raus!“. Und obwohl Wagner dem israelischen Botschaftsrat Aviv Shir noch beim Neujahrsempfang versprochen hatte, in Zukunft derartige Aufmärsche zu verbieten, genehmigte die Stadt Anfang März prompt wieder zwei Demonstrationen von Sonntags „NWD“. Mit der Begründung, man könne „doch keine Trauerkundgebung verbieten“, ließ Wagner auch den Marsch am 15. Juni durchgehen. Polizeisprecher Bruchmann befürchtete sowieso „eher Randale von links als von rechts“.

So geht es denn auch in der offiziellen Diskussion weniger um das Treiben der Neonazis und die Bedrohung der ausländischen Bürger als vielmehr um eine Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus. Im sächsischen Landtag gab der CDU- Abgeordnete Schimpff zum besten, der „Extremismus roter und brauner Couleur“ wurzele „in der extremen Überbewertung der Gruppe“. Innenminister Krause stellte eine „gleiche Ausgangslage bei linksextremen und rechtsextremen Aktionen fest“. Die CDU sehe „auf dem linken Auge Gespenster“, konterte Martin Böttger vom Bündnis 90/Grüne. Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf tut Rechtsextremismus lediglich als „Randerscheinung einer Umbruchsituation“ ab. Regierungssprecher Kinze machte dann gar die „hohe Bevölkerungsdichte“ für Rechtsextremismus verantwortlich. Zuvor hatte er bei dem Trauergottesdienst für Jorge Gomondai erklärt, er sehe im Tod des Ausländers „die Schwierigkeit vieler Menschen, ihren Standort in der freiheitlich-demokratischen Ordnung zu finden“. Seine Regierung werde sich bemühen, „gesunde attraktive Alternativen für die Freizeitgestaltung“ zu finden. Damit findet er sich in Einklang mit der Bundesjugendministerin Angela Merkel. Die ordnete rechtsradikale Übergriffe in die Rubriken „verfehlte Jugendpolitik“ und „keine wesentliche Erscheinung“ ein.

Während Sachsens Justizminister Heitmann noch die „Versäumnisse des SED-Regimes“ für das Entstehen der Szene verantwortlich machte, ist Innenminister Krause — ganz der ehemalige FDJ-Spitzenfunktionär — davon überzeugt, daß der Rechtsextremismus aus dem Westen, „aus den Altländern heraus“, organisiert werde. Krause sieht keine Veranlassung, aus der Kritik an seinen Polizeibeamten Konsequenzen zu ziehen.

„Bekämpfen wir das Chaos, das vor der Tür steht“, forderte denn auch der hessische Neonazi Heinz Reisz am Grab des erschossenen Rainer Sonntag und wandte sich dann den umstehenden Polizisten zu: „Wir brauchen auch euch dazu!“