Symbole der Unabhängigkeit

■ Slowenien zelebrierte seine Souveränität/ Nur Österreichs Außenminister feierte mit/ Die Slowenen hoffen, Europa werde schließlich „die Realitäten anerkennen“ müssen

Noch ahnten wohl die wenigsten, was in der folgenden Nacht kommen sollte. Als Milan Kucan, der kleingewachsene und wegen seiner trickreichen Bauernschläue eher bewunderte als beliebte Präsident Sloweniens, am Mittwoch abend seine Ansprache beendet hatte, brandete der Beifall auf. Die meisten der mehr als hunderttausend Menschen, die sich vor dem slowenischen Parlament eingefunden hatten, um an der Zeremonie teilzuhaben, wußten zwar, daß die Erklärung der Unabhängigkeit noch nicht gleichbedeutend mit ihrer Erlangung ist.

Immerhin aber wurden an diesem denkwürdigen Mittwoch abend die Insignien eines slowenischen unabhängigen Staates zur Schau gestellt: die weißblaurote Flagge mit dem Schild, auf dem die Gestalt des Landes, das Gebirge und das Meer, versinnbildlicht ist, eine Ehrengarde der Verteidigungseinheiten und eine neue Nationalhymne.

Vielleicht war mit den Klängen des die Festlichkeiten umrahmenden Chors nicht der Ton getroffen, den sich viele derjenigen gewünscht hätten, die mit ihrem Mut den slowenischen Frühling der 80er Jahre erst begründeten. Der kleinbürgerliche und provinzielle Geschmack, der in der Ausrichtung der Veranstaltung zutage trat, ist nicht nach ihrem Gusto.

Doch spätestens seit der Volksabstimmung im letzten Dezember wollen auch die Zyniker unter den Intellektuellen dem Volke nicht das Recht absprechen, nach den tausend Jahren von außen kommender Regierung, erst durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, dann durch Wien und schließlich, während der letzten 73 Jahre, durch Belgrad, endlich einmal selbst Handel und Wandel in die Hand zu nehmen.

Zwar mit zwiespältigen Gefühlen, doch ohne Aggression wurde hingenommen, daß die Welt Slowenien alleine ließ. Von den Nachbarländern hatten nur die Österreicher mit Außenminister Mock einen hochrangigen Politiker entsandt. Auch wenn sein Besuch noch nicht die diplomatische Anerkennung des slowenischen Staates bedeutete (daß Kroatien und Slowenien sich gegenseitig „anerkannten“, ist unter den gegebenen Umständen wenig wert), zeigten sich die Menschen — wenn Applaus dafür ein Gradmesser ist — außerordentlich dankbar für diese Geste. Die meisten mochten denken, was eine Zuschauerin der Zeremonie unter dem Beifall vieler Umstehender aussprach: daß nämlich über kurz oder lang auch die anderen Staaten Europas „die Realitäten anerkennen“ würden. Auch wenn diesmal das diplomatische Korps fehlte.

Noch am Mittwoch nachmittag hatte Innenminister Igor Bavcar versucht, den Konflikt mit der Bundesregierung und mit der Armee herunterzuspielen, als die Meldungen schon eingetroffen waren, daß es zu Konflikten an den Grenzen gekommen war. Nach Ansicht der Militärs sollten die Symbole der Unabhängigkeit, die neuen Flaggen, nicht aufgezogen werden. Noch hoffte die politische Klasse Sloweniens auf gütliche Einigung. Der slowenische Vertreter in der Belgrader Rgierung, Bavcar, sagte, die Regierung habe ihm zugesichert, daß keine Gewalt angewendet würde. Das Militär, so hieß es nach seinen Worten aus Belgrad, werde nur an der grünen Grenze bleiben, das heißt, sich auf die Sicherung der äußeren Grenze beschränken, keineswegs jedoch die Grenzübergangsstellen berühren. Noch immer blieben die slowenischen Politiker bei ihren Positionen: Die Gesetzlichkeit der Unabhängigkeitserklärung stünde außer Frage, keine Macht der Welt könne das Rad der Geschichte zurückdrehen.

Die Unabhängigkeitserklärung wurde von der politischen Klasse in Slowenien immer nur lediglich als ein Symbol für den Beginn der ernsthaften und wirklichen Loslösung vom Bundesstaat herausgestellt und nicht als dessen Endpunkt.

Vielleicht ging es bis vorgestern wirklich nur um einen Kampf um Symbole. Mit dem Aufmarsch der Panzer und dem Beginn der Kämpfe hat sich dies verändert. Das Insignium der Unabhängigkeit, die slowenische Territorialarmee, die bisher ein paar hundert ausgebildete Soldaten umfaßt und die bei Ig, einer Stadt in der Nähe von Ljubiljana, und bei Maribor, aufgebaut werden sollte, ist schon jetzt in einen Krieg geworfen.

Nach den Entwicklungen der letzten Stunden scheinen diejenigen Recht zu bekommen, die von Anfang an vor dem Aufbau einer slowenischen Armee warnten. Die slowenische Friedensbewegung nämlich, zu der sich noch vor Jahresfrist sowohl Präsident Milan Kucan wie der jetzige Verteidigungsminister Janez Jansa bekannten, hatte früher und auch noch in den letzten Tagen vor der Militarisierung der Gesellschaft gewarnt: Nur ein total abgerüstetetes Slowenien sei ein Symbol, mit dem der friedliche Übergang in die Unabhängigkeit zu schaffen wäre — gerade weil es sich nicht auf die Denk- und Handlungsebenen seiner Gegner einläßt. Erich Rathfelder