: »Berlin wird eine boomende Metropole«
■ Wirtschaftssenator Norbert Meisner (SPD) prophezeit in einem taz-Gespräch Verdrängungsprozesse in der City
Hauptstadt. In Berlin wird es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung kommen. Wie Wirtschaftssenator Meisner gegenüber der taz erklärte, werde dieser Prozeß jedoch einhergehen mit Grundstücksspekulationen und Verdrängungsprozessen. Die Industrie im Ostteil der Stadt hat den Tiefpunkt noch nicht erreicht. Meisner sprach sich für eine Änderung des Wahlmodus aus, um ein Zusammengehen Berlins mit Brandenburg zu ermöglichen.
taz: Herr Meisner, wie viele Großinvestoren haben, seitdem klar ist, daß Berlin Regierungssitz wird, bei Ihnen vorgesprochen?
Meisner: Seit letzten Donnerstag hat keiner vorgesprochen.
Welche namhaften Konzerne haben in letzter Zeit ihr Interesse an einem größeren Engagement in Berlin bekundet?
Immer wenn ein Abschluß perfekt wird, werde ich das der Öffentlichkeit mitteilen.
Wird der Abschluß mit Asea Brown Boveri bald perfekt?
Ich kann noch nicht sagen, wie schnell das geht; jedenfalls ist das Interesse von ABB sehr deutlich.
Sony hat 3.200 DM pro Quadratmeter für sein Grundstück am Potsdamer Platz bezahlt. Wie rechtfertigt der Senat solche Dumpingpreise?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Da ist wieder eine Verkehrswertermittlung vorgenommen worden...
Wird auch weiterhin so verfahren werden?
Mit zunehmender Wirtschaftskraft der Stadt wächst natürlich auch die Position Berlins als Verhandlungspartner bei solchen Grundstücksgeschäften.
CDU und SPD meinen, daß in Anbetracht der Entwicklung auf dem Grundstücksmarkt dieses Verfahren der Verkehrswertermittlung nicht mehr angemessen sei.
Da ist was dran. Man kann sich überlegen, ob in solchen Fällen ein Gutachterausschuß eingesetzt wird.
Seit die Hauptstadtentscheidung gefallen ist, klettern die Börsenkurse nach oben, explodieren die Grundstückspreise. Ist Berlin eine boomende Metropole?
Sie wird mit Sicherheit eine werden. Im Augenblick ist allerdings die Situation der Knappheit von Grund und Boden immer noch künstlich, wegen der ungeklärten Eigentumsverhältnisse.
Heißt das, Sie rechnen noch mit dem wesentlichen Schub an Investitionen?
Ja. Große Konzerne bereiten ihre Investitionen eher langfristig vor. Nicht alle, die jetzt hierhereilen und ein Grundstück pachten, sind diejenigen, die den wirtschaftlichen Wert dieser Region steigern.
Herr Staffelt (SPD) will keine Jobber, sondern seriöse Investitionen, Herr Landowsky (CDU) will den Wildwuchs verhindert wissen, und Frau von Braun (FDP) will keine Spekulationen, die die Preise nach oben treiben. Wie tragen Sie den Wünschen der Parlamentarier Rechnung?
Im privaten Grundstücksverkehr kann man so was überhaupt nicht verhindern, und es findet sicher im Augenblick auch eine ganze Menge Spekulation statt. Das Land Berlin kann nur dadurch eingreifen, daß es nicht mitspekuliert, seine Grundstückspreise nicht am Markt orientiert, sondern schaut, daß es einen soliden Investor herbekommt.
Wenn mit der Aufforderung der Parlamentarier Randwanderungsprobleme und nicht Spekulantentum gemeint ist, dann muß ich sagen, Randwanderungsprobleme wird man nie vermeiden können. Wir werden bestimmte Gewerbe aus dem Zentrum der Stadt an den Rand bekommen, und sich solchen Prozessen entgegenzustellen, wäre wirtschaftspolitischer Unsinn. Es wird ganz bestimmte Nutzungen geben, die sich in Citylage nicht mehr halten werden.
Ist die Veräußerung landeseigener Grundstücke ein probates Mittel, um regulierend in den Grundstücksmarkt einzugreifen?
Dazu hat uns jedenfalls die Industrie- und Handelskammer aufgefordert...
Aber die Ressourcen sind doch zügig erschöpft.
So wie bei dem Investor Sony, bei dem Investor Daimler bestimmte Bedingungen mit dem Vertrag verknüpft sind, so kann das doch auch in allen anderen Fällen geschehen. Es werden ja bestimmte Mieten oder mietfreie Nutzung in dem Vertrag festgelegt, und auch damit wirkt das Land Berlin dämpfend in dem Bereich.
In Berlin wird es zum Ende des Jahres 300.000 Arbeitslose geben. Was werden Sie diesen Leuten anbieten, außer ein paar aufmunternden Worten?
An der Entwicklung auf dem Grundstücksmarkt, an den nachgefragten Krediten, an dem Andrang für Baugenehmigungen merke ich, daß der wirtschaftliche Boom kommt. Aber den Leuten, die entlassen werden, kann ich natürlich schlecht sagen, haltet aus, die Stadt boomt...
Kommt denn der Aufschwung auch in den Bereichen, in denen die Leute bislang beschäftigt waren?
Sicher nicht, das muß man ganz realistisch sehen. Wenn wir uns die Statistik der Erwerbspersonen ansehen, so haben wir bisher in West- Berlin, gemessen an anderen Metropolen, einen zu geringen Anteil an Dienstleistungen und zu hohen Anteil in der Industrie. Diese Verschiebungen, die in allen großen Städten stattgefunden haben, laufen nun in Ost-Berlin im Zeitraffer ab, d.h. der Industrieanteil, der in Ost-Berlin durch zentrale Entscheidungen geschaffen und gehalten wurde, den werden wir auf keinen Fall halten können.
Sind die klassischen Industriezweige Berlins, die Metall und Elektroindustrie, zum Sterben verurteilt?
Nein, der ganze Industriebereich nicht, sondern nur bestimmte Produktionen.
Worauf müssen denn die Arbeitnehmer aus diesen Bereichen, die jetzt arbeitslos werden, umschulen, wo liegen zukünftig die Schwergewichte der Beschäftigung in Berlin?
Fast der gesamte Dienstleistungssektor in Ostdeutschland ist ein Zukunftsbereich. Es gab bislang keine Umweltindustrie. Es wird ein großer Pusch dadurch kommen, daß die erste Aufgabe, die vor den Beschäftigungs- und Qualifikationsgesellschaften liegt, die Sanierung der Industriegrundstücke sein wird.
Wird sich in den kommenden Jahren das Wirtschaftsgefälle zwischen Berlin und Brandenburg vergrößern?
Nein, ich gehe davon aus, daß der Effekt der Hauptstadtentscheidung genauso dem Umland zugute kommt, und man muß mit der brandenburgischen Landesregierung dafür arbeiten, daß diese Effekte nicht zu einem Anschwellen der Agglomeration in Berlin führen, sondern im Lande Brandenburg selber verteilt werden.
Im Land Brandenburg bestehen große Vorbehalte gegen ein Zusammengehen mit Berlin, obgleich nur so Fehlentwicklungen, wie das Ansiedeln eines Speckgürtels rund um Berlin, vermieden werden kann. Wie wollen Sie die Brandenburger von einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik überzeugen?
Man muß ihnen in der Tat sagen, daß es ihr Nutzen ist. Dazu gibt es ein paar Rechnungen darüber, wie das aussieht, wenn zwei Länder um Gewerbeansiedlungen konkurrieren. Das muß zu Verschleißerscheinungen führen. Man kann Ängste nehmen, die natürlich noch da sind: man kann den Brandenburgern auch garantieren, daß, in einem Zeitraum von ein oder zwei Legislaturperioden, das vermeintliche Übergewicht, das Berlin durch die Bevölkerungszahl hat, im Landtag eines gemeinsamen Landes nicht zählt. Man kann eine Parität dort vereinbaren, indem man die Anzahl der Wahlkreise anders schneidet...
Das ist aber nicht gerade demokratisch...
...aber es ist eine Entscheidung, die sich als Übergangsregelung, bei dem Zusammengehen von zwei Ländern, verfassungsgemäß vereinbaren läßt. Interview: Dieter Rulff/
Hans-Martin Tillack
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen