Ungerechtigkeiten ärgern Diepgen

■ Der Regierende Diepgen äußert sich zum Jahrestag der Wirtschafts- und Währungsunion/ Einführung der DM sei Vertrauensbeweis für den Osten/ Soziale Angleichung in zwei, drei Jahren notwendig

Berlin. Für Hunderttausende in den neuen Bundesländern ist der Jahrestag der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion ein Tag des Grauens und der Wut. Für mindestens 26.000 Menschen, allein in Berlin, endet die Warteschleife und beginnt das Warten vor dem Arbeitsamt. Dazu läuft an diesem Tag noch der Kündigungsschutzvertrag der IG Metall aus, weitere 20.000 Ostberliner Metaller dürfen sich mit 63 Prozent Arbeitslosengeld (durchschnittlich 1.000 Mark) zur Ruhe setzen. Dazu wird noch alles teurer. So habe man sich die Marktwirtschaft, die man ja selber gewählt hat, nicht vorgestellt, sagen viele, denn das sei »Kolonialismus«.

Grund genug für Eberhard Diepgen, sich in einem 'adn‘-Exklusivinterview zur Lage — ein Jahr danach — zu Wort zu melden. Erwerbslosigkeit, sagte er, habe es in verdeckter Form als sinnlose, überflüssige Arbeit in der DDR immer gegeben. »Die DDR war ein Weltmeister im Fälschen von Statistiken, sie lebte zuletzt nur noch aus ihrer Substanz, konnte ihre Bürger mit Hilfe internationaler Kredite mehr schlecht als recht zufriedenstellen.«

Die Einführung der D-Mark sei »politisch sinnvoll« gewesen, bilanzierte Diepgen, und der Zeitpunkt notwendig, da sonst ein Exodus gen Westen eingesetzt hätte. Zudem, sagte Diepgen, »war die Währungsunion ein wichtiges Zeichen des Vertrauens und der Hoffnung, das die Westdeutschen in die künftige Entwicklung der neuen Bundesländer setzten«.

Daß es erhebliche wirtschaftliche Probleme gibt, räumte er ein. »Am meisten ärgern mich die noch bestehenden Ungerechtigkeiten zwischen Ost und West.« Hier seien viele Aufgaben bisher noch nicht »konstruktiv-kritisch« im »ausreichenden Maße« aufgearbeitet worden. Die Zweiteilung von Löhnen, Mieten und Tarifen sei auf Dauer nicht zu halten. Es sei eine Verpflichtung für uns, sagte Diepgen, »in zwei, drei Jahren nach der deutschen Einheit diese Unterschiede und damit Ungerechtigkeiten nach allen Seiten beseitigt zu haben«. Hart ging Diepgen mit denen ins Gericht, die sich die Mauer wieder zurückwünschen, weil sie sich in ihrer »Wohlstandsoase« durch die Probleme aus dem Osten bedroht fühlten. »Diesen Menschen muß klipp und klar gesagt werden, daß sie auf ihrer Insel auch von den Steuergroschen lebten, die andere Bundesbürger für sie bezahlt haben.«

Als Prioritäten für die Stadt nannte der Regierende Bürgermeister vor allem: Investitionen, Arbeitsplätze, Beschäftigungsgesellschaften, Aufbau einer leistungsfähigen Verwaltung, Wohnungsneubau, Sicherheit für die Bürger, die Entwicklung der Infrastruktur »vom Straßenbau bis zur Telefonleitung« sowie die Entwicklung des Bildungswesens. Zwei bis drei Legislaturperioden seien dafür notwendig. Und Regierender würde er »natürlich« während dieser Zeit gerne sein. aku