Chamäleon und Urwaldpaul

■ Van Morrison und Paul Simon in der Waldbühne

Im letzten Sommer war die eigentlich eher pastellfarben getönte Noch-DDR plötzlich leuchtend gelb. Eine Camel-Schirm-Plage hatte unsere neuen Naherholungsgebiete vollständig zugedeckt. Jeder noch so winzige Erdbeerwein-Ausschank in Werder hatte seine zwei bis drei dottergelben Sonnensegel aufgespannt.

In diesem Jahr gibt es keinen Sommer, dafür kam Paul Simon in die Waldbühne. Daß es in Strömem goß, ist klar. Menschen waren nicht zu sehen, aber die lückenlos geschlossene Fläche aus Regenschirmen bewies, daß sie gekommen waren. Mindestens ein Drittel dieser Schirme waren dottergelb und hatten ein Kamel drauf, woraus man möglicherweise schließen darf, daß die Popkultur in Sachen Vereinigung den anderen Kulturen meilenweit voraus ist.

Am Anfang brachten das Wetter und die dazugehörigen Schirme spezielle Probleme mit sich. Man mußte zum Beispiel ungeheuer aufpassen, von den halterlos herumstechenden Schirmspitzen nicht zum heiligen Sebastian gemacht zu werden. Wer seine Pfütze zum Sitzen gefunden hatte, konnte sich der physikalischen Seite des Phänomens zuwenden und die Rinnsäle beobachten, die vom Schirm des Vordermanns direkt in die eigenen Gummistiefel reinflossen, wobei sie die Hosenbeine als Regenrinne benutzten. Dann war Schluß mit »Jugend forscht«, denn dann kam er, der als »very special guest« immer noch viel zu glanzlos angekündigte Van Morrison: ein kleiner schwarzer Rhombus mit einer sanft geröteten Glatze am oberen Ende und einer unprätentiösen, schwarzen Windjacke in der Mitte.

Schwer zu sagen, ob es nun seine autistische Konzentriertheit ist, dieses »Eigentlich-gehen-wir-nur-uns- hier-oben-was-an«-Flair, oder seine unvergleichliche Stimme, die er meistens zum schnellen Erzählen benutzt und nur manchmal aus sehr bescheidener Zurückhaltung aufbrechen läßt, oder die Lässigkeit, mit der er seiner Mundharmonika perlendste Läufe entlockt, um sie dann achtlos über die Schulter nach hinten zu werfen, oder alles dies zusammen, jedenfalls hat Morrison ein Charisma, das auch die Wiederkehr der Sintflut zur Nebensache macht [beziehungsweise ist er wohl der typ von macker, der heutzutage gefragt ist. sezza]. Er spielt nichts vor, und seine Motorik ist die »just for show«. Vielleicht ist er wirklich schüchtern. Man sieht es ihm an, daß es ihn quält, über sich Auskunft zu geben. »To my wife I must always explain«, wundert er sich, »why, oh why must I always explain?« Allerdings ist das eine rhetorische Frage, und keine(r) soll glauben, er oder sie könne sich quasi durch die Backstage-Tür mit Van verbünden. Wenn es da ein Problem gibt, dann geht das auch wieder nur ihn und seine Band was an.

So gesehen ist sein Nachfolger, Paul Simon, das pure Gegenteil. Nicht nur, weil er chamäleonhaft in jede Stimmung schlüpft, sondern auch weil er genauestens berechnet, wieviel von welcher Stimmung er den Fans anbieten muß.

Mit echtem Besitzerstolz präsentiert er Musiker aus Brasilien und Kamerun samt ihren Instrumenten. Eine Unmenge exotischer Hohlkörper zum Draufschlagen und seltsam geformter Gitarren werden auf die Bühne geschleppt, es blinkt und blitzt, und bunte Hemden leuchten. Ganz vorn steht der kleine Paul und wackelt niedlich mit dem Kopf. Er hat von seinen weiten Reisen viele schöne Menschen und Musikalien mitgebracht, jetzt möchte er seinerseits die Leute staunen sehen. Man staunt auch. In manchem Song, den seine Ethno-Bigband anstimmt, steckt eine uralt-schöne Melodie. Man staunt, daß es zu einem guten Teil eben jene Hits sind, mit denen »Simon und Garfunkel« vor über 20 Jahren angebrochene College- Herzen trösteten, die sich jetzt zu ihrem afro-brasilianischen Ursprung bekennen. Offenbar ist Paul auch in den Urwäldern Südamerikas immer nur auf seine eigenen Lieder gestoßen. Daß er das jetzt in großem Rahmen zu Gehör bringen möchte, ist verständlich, auch wenn seine gefühlige Stimme in den harten Rhythmen und vordringlichen Saxophon-Tönen manchmal klanglos untergeht.

Wenn seine Jungs zu temperamentvoll werden, spielt er den Firmenchef, stellt sich an die Seite und schlägt ein bißchen mit seinen Holzröhrchen auf anderer Leute Gitarren herum.

Nach anderthalb Stunden Ethno- Pop begreift der Good Boy in ihm, daß er die klitschnasse Menschenmenge im erbarmungslos weiterprasselnden Regen jetzt nicht mehr länger warten lassen darf, und Paul kommt endlich raus damit, daß er eigentlich eine Brücke über sprudelnde Wasser sein möchte und daß eine gewisse Cecilia gerade dabei ist, ihm das Herz zu brechen. Ausgerechnet an der lieblichsten Stelle seines vielleicht allertraurigsten Songs, Sound of Silence, gab die Elektronik ihren Kampf gegen das Feuchte auf und jagte mit einer grellen Rückkopplung den zarten Mann vom Mikrophon. Gerade in dem Moment, als wir Paul wieder zu lieben begannen und unseren nassen Nachbarn auch. Doja Hacker