piwik no script img

Die Entfärbung eines Pseudo-Rebellen

Andre Agassi bleibt für Wimbledon farblos: weißes Outfit und zahmes Benehmen  ■ Aus Wimbledon Michaela Schießl

Jeder hätte es wissen müssen: In den USA gibt es keine Rebellen. Die USA bringen unterhaltsame Flegel heraus wie John McEnroe, forsche Fighter wie Jimmy Connors, Diven wie Martina Navratilova. Aber Revoluzzer? Fehlanzeige.

Selbst der zum „Tennis-Rebell“ ernannte André Agassi enttarnte sich nun als stark behaarter, racketschwingender Werbegag. Drei Jahre lang hat der 21jährige aus Las Vegas getönt, er pfeife auf Wimbledon wegen der altmodischen Kleidervorschriften. Er hänge an seinen pinkfarbenen Radlerhosen, seinen schwarzen Schmuddelshorts, dem bunten Hemd Größe XXL, aus dessen Ausschnitt er seine furchterregende Brust- und Schulterbehaarung sprießen lassen kann.

So mag dem Veranstalter eine Gänsehaut überfallen haben, als Agassi für Wimbledon 1991 meldete. Sofort setzten sich die „weißen Riesen“ vom All England Lawn Tennis Club mit Agassis Ausrüster auseinander zwecks Klärung der Kleiderordnung. Drei Kompromißvorschläge wurden von den Briten glatt abgelehnt, die dann, des Verhandelns müde, schlicht drohten, Agassi des Courts zu verweisen, sollte er sie provozieren.

Am Donnerstag nun wartete ein vollbesetzter Centre Court auf den Eklat. Irgendwie, so hofften die Fans, wird der Rebell die heilige Wimbledon-Kuh „Tradition“ am Nasenring vorführen. Gerüchte machten die Runde von einem weißen Hemd, das bei Sonnenlicht in Regenbogenfarben schimmert. Andere tuschelten, daß er zwar in Weiß, aber mit neongrünen Haupt- und Brusthaaren und pinkfarbenen Fingernägeln antreten werde. Doch alle waren sich einig, daß sie seine Disqualifizierung nicht hinnehmen würden. Pläne zum Erstürmen des Courts wurden geschmiedet, als die Spieler den Rasen betraten.

Die Enttäuschung ging durch Mark und Bein: Radlerhose, Shorts, Hemd, Socken, Schuhe, Stirnband — alles weiß. Da mochte das Fan- Auge noch so adlerartig das Gewebe beäugen, dem war kein bunter Schimmer zu entlocken. Die letzte Hoffnung erstarb, als kurzzeitig die Sonne schien — kein Regenbogenglitzern nirgendwo. André Agassi, der elende Feigling. Widerspruchslos hat er sich dem verkrusteten Diktat der Konservativen unterworfen, widerrufen, abgeschworen, ausgezogen. Langsam beschleicht ein furchtbarer Verdacht Fans Herz: Der Tennis-Rock'n-Roller Agassi (Werbeslogan) hat so viel mit Mick Jagger gemein, wie der Marlboro Man mit einem echten Cowboy: nur die Hülle. Und die wird sicherlich bereits am Verkaufsstand vor dem Court als „André-Agassi-Wimbledon-Collection“ dargeboten.

Zweifellos arbeitet der 21jährige derzeit hart an seiner Läuterung. Nicht nur sein Sponsor bemäkelt sein rüdes Image. Auch Richard Evans von der ATP-Spielervereinigung klagt: „Agassi versteht nicht, was es heißt, Profi zu sein.“ Er kommt unvorbereitet und auf den letzten Drücker zu Turnieren, kassiert die Antrittsgage, scheidet aus und entfleucht. Zudem sei er unzugänglich. Stets kontrolliert von seinem Clan — Trainer Gil Reyes, Agent Bill Shelton, Coach Nick Bolletieri und Bruder Phil — hält der Buntspecht, abgesehen von markigen Sprüche auf Pressekonferenzen, den Schnabel.

Nun gelobt er Besserung. „Mein Charakter wird in Frage gestellt. Das hat mich hart getroffen.“ Dabei ist er doch so ein liebenswürdiges Kerlchen und mag Frank Sinatra lieber als Rock'n Roll. Zur Weiterbildung in Sachen Leben besucht er neuerdings sogar Kunstmuseen. „Es gibt mehr zu sehen auf der Welt als Tennisplätze.“ Die phänomenale Einsicht eines 21jährigen.

„Ich möchte, daß man mich besser versteht“, erklärte der eher schüchterne Agassi bei einer hastig inszenierten Interkontinental-Pressekonferenz. „Die Öffentlichkeit hat ein Recht, viel über mich zu erfahren.“ Da staunten die Medienvertreter, hatten sie ihm doch bei den French Open die Zitrone für den größten Medienmuffel verliehen. Doch er setzte noch einen drauf: „Wimbledon ist ein Wendepunkt in meiner Laufbahn. Schließlich ist es sehr einzigartig — wie ich gehört habe.“ Gespürt kann er es noch nicht haben: Er berührte erst einmal den heiligen Rasen: 1987, als er in der ersten Runde gegen Henri Leconte rausflog. Auch seinen Boykott aus Kleidungsgründen widerruft Agassi heute: „Ich fühle mich jetzt erstmals stark genug dafür“, begründet er sein Kommen.

Zur Freude seines Erstrundengegners Grant Connell aus Kanada konnte Agassi nur eine Woche lang auf Rasen üben. Während der farblose André nach dreitägiger Regenpause wie ein übermütiger Pit-Bull die Bälle mit ungeheuerer Wucht ins Aus schmetterte, zwang Connell Agassi mit superflachen Slice-Schlägen in die Knie. Doch nach dem ersten Satz, der 6:4 an Connell ging, hatte Agassi sich ausgetobt. Locker gewann er mit viel Serve and Volley, einem knallharten Return und perfekten Lobs den zweiten Satz 6:1, als wegen Regens unterbrochen werden mußte. Doch ob das hochklassige Tennis seine Fans besänftigen kann, ist noch ungewiß. Fest steht hingegen: Das Rebellenimage ist unwiederbringlich dahin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen