QUERSPALTE
: D-Mark-Revolution

■ Ein Jahr Währungsunion: Die harte Schule der Bananendemokratie

Die wahre Revolution in der DDR fand am 1.Juli statt. Viele ahnten es, manche wußten es, doch keiner sprach es aus: Als vor genau einem Jahr Hunderte von DDR-Bürgern die Filiale der Deutschen Bank am Ostberliner Alexanderplatz belagerten, um ihr Spielzeuggeld in harte D-Mark einzutauschen, war dies der Auftakt zu einer nicht abreißenden Serie öffentlicher Protestaktionen, bis hin zu den für deutsche Verhältnisse geradezu revolutionären Betriebsbesetzungen der letzten Tage. Die Einführung der D-Mark hat die Verhältnisse der DDR zum Tanzen und die Grundmauern der alten, verfaulten Ordnung zum Einsturz gebracht. 75 Jahre nach dem Sturm auf das Winterpalais, 46 Jahre nach der Landung Walter Ulbrichts in Berlin-Tempelhof und zwei Jahre nach der Öffnung der ungarischen Westgrenze lautet die neue historische Gleichung: Die Banane verhält sich zur Demokratie wie das Begrüßungsgeld zur Währungsunion. Die Währungsunion (W) entspricht also der Formel Banane (B):Demokratie(D), also der demokratisch geteilten Banane.

Die formelle Gleichheit vor der D-Mark (und dem Grundgesetz, das am 3. Oktober folgte) ließ schreiende Ungerechtigkeit, dreisten Raub und freche Lüge — wie bei jeder ordentlichen Revolution — zum Bestandteil des öffentlichen Lebens werden. Und der Verteilungskampf um Löhne und Gehälter, Subventionen und Eigentumsrechte, Sonderabschreibungen und Gründungsdarlehen, um Steuern, Mieten, Telefon, Renten, ABM und Wohnungsgeld begann. Rasch stellte der verdutzte Ostler fest: Demokratische Verhältnisse garantieren nicht nur Gewaltenteilung, Meinungs-, Presse- und Reisefreiheit, sondern auch ordinären Betrug. Alte SED- und Stasi-Kader gründeten GmbHs mit beiseite geschafftem „Volksvermögen“, West-Betrüger — „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ — verkauften irritierten Rentnern gleich mehrere Lebensversicherungen, und die neue Mafia im Osten zog Milliarden D-Mark aus dem illegalen Geschäft mit Transferrubeln.

Mit dem Skandal kam die Skandalöffentlichkeit— und der nicht enden wollende Strom der Enthüllungsgeschichten, späten Entdeckungen und frühen Warnungen schwoll an wie die öffentlichen Proteste, Streiks und Demonstrationen. Kritik war kein Staatsdelikt mehr, sondern — als aggressiver Ausdruck von „Sinnkrisen“, Dauernörgelei oder in Form gezielter Eierwürfe — Bestandteil der neuen Einheit von politischem Kampf und praktischem Alltagsleben geworden. Das war die wirkliche Revolution. Der freie Fall aus dem Reich der eingemauerten Utopie ins grenzenlose Universum der kapitalistischen Notwendigkeit wird so oder so vom Netz irgendeiner Beschäftigungsgesellschaft nicht aufgefangen werden. Doch der Kampf um sie verhält sich zum archaischen Terror des Belgrader Militärs wie die D-Mark zum Dinar. Reinhard Mohr