„Saure Zeiten“ für die Kleinen

■ Der Wegfall der Bundeszuschüsse für die Kindereinrichtungen in den fünf neuen Bundesländern bringt die Gemeinden in die finanzielle Bredouille

Wo früher die Stasi ihre Gäste bewirtete, wuseln heute die Kids durcheinander. Woltersdorf, eine 5.000-Einwohner-Gemeinde südöstlich von Berlin, hat sich einen Kindergarten wie aus dem Bilderbuch gesichert. Die stattliche Villa auf dem wunderschönen Waldgrundstück ging vor einem Jahr in kommunalen Besitz über, die Erzieherinnen sind stolz darauf. Aber sonst gibt es Schwierigkeiten genug. Von den 18 Kindergärtnerinnen wurden zwei entlassen, sechs Frauen werden ab 1. Juli nur noch auf ABM-Basis beschäftigt. In Brandenburg sind in den letzten Monaten rund 20.000 Krippen- und Kindergartenplätze verlorengegangen, rund 1.800 Erzieherinnen mußten ihren Job quittieren.

Wenn nun ab 1. Juli die Bundeszuschüsse für den Erhalt der Kindereinrichtungen wegfallen — zu denen sich der Bund laut Einigungsvertrag verplichtet hatte —, wird die Situation noch prekärer. Dann muß ein Drittel der Kosten auf anderem Wege aufgebracht werden. Doch Kommunen und Eltern, die nach den neuen Ländergesetzen und Richtlinien zur Kasse gebeten werden, sind damit finanziell überfordert. Wie viele Plätze tatsächlich abgebaut, wie viele Einrichtungen geschlossen, Erzieherinnen entlassen werden müssen, darüber gibt es keine gesicherten Zahlen, nur Prognosen und Mutmaßungen. Doch zu befürchten ist, daß eine bedarfsgerechte Versorgung, vor allem bei kleineren Gemeinden und ländlichen Gebieten, nicht mehr aufrechterhalten werden kann.

Dabei gibt es natürlich Unterschiede von Land zu Land. Aber keines der neuen Länder kann und will den Wegfall der Bundesmittel ausgleichen. In Brandenburg hat Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) immerhin durchgesetzt, daß 70 Prozent der Kosten pro Krippen- und Kindergartenplatz das Land übernimmt. Die fehlenden 30 Prozent sollen, damit Gemeinden und Eltern möglichst gering belastet werden, über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aufgefangen werden. Entlassene Erzieherinnen werden also gleich wieder über ABM eingestellt, 10.000 Frauen sind davon betroffen. Die ABM-Finanzierung soll die „sauren Zeiten“ überbrücken helfen, heißt es aus dem Sozialministerium, und auch in Bonn, bei Frauenministerin Angela Merkel, verweist man gerne auf diese Möglichkeit.

Der Bedarf an Plätzen wird sinken

Aber eine wirkliche Lösung ist es natürlich nicht, denn AB-Maßnahmen laufen nach zwei Jahren aus. Ob die Frauen danach an ihre alten Arbeitsplätze zurückkehren können, kann niemand voraussagen. Die finanzielle Lage der Gemeinden in der Ex- DDR muß sich verbessern, aber darüber hinaus wird der Bedarf sinken. In Woltersdorf wurden in manchen Jahren 50 bis 60 Kinder geboren, 1990 waren es noch über 30, aber in diesem Jahr gab es nur sechs Geburten. „In solch unsicheren Zeiten überlegen sich die Leute, ob sie Kinder wollen“, sagt Monika Kilian, Erzieherin in Woltersdorf und eine der Sprecherinnen der Interessengemeinschaft „Erhaltet die Kindereinrichtungen in den neuen Ländern“. Überrascht war die Erzieherin allerdings, wie wenig Eltern ihre Kinder aus den Einrichtungen nehmen. Auch die arbeitslosen Mütter bringen ihre Kleinen zumindest halbtags in den Kindergarten. Denn die meisten wollen auf dem Arbeitsmarkt „vermittelbar“ bleiben. Außerdem sind die Kitas Anlaufpunkt, Sozialstation, vor allem aber für die Kinder selbst unverzichtbar. Denn gerade wenn die familiäre Situation belastend ist, benötigen die Kinder um so mehr ihre Spielkameraden und die außerhäusliche Betreuung.

In der DDR stand der Aspekt im Vordergrund, daß Kindereinrichtungen auch einen pädagogischen Auftrag erfüllen. Das sei noch kaum im öffentlichen Bewußtsein, bedauert Ilas Diller-Murschall von der Arbeiterwohlfahrt und „Geschäftsführerin“ der Interessengemeinschaft. Wo früher ein rigider Tagesablauf herrschte, bemühen sich heute die Erzieherinnen, den individuellen Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden; ideologische Zumutungen— so sollten bereits die Drei- bis Vierjährigen Erich Honecker auf Bildern erkennen — sind natürlich längst über Bord geworfen worden. „Es macht heute viel mehr Spaß als früher“, ist von vielen Erzieherinnen zu hören.

Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben zwar vor kurzem Kindergartengesetze beschlossen, in denen sogar ein Rechtsanspruch für Kinder ab drei Jahren festgehalten ist. Doch in der Praxis wird das eben kaum einzulösen sein, wie der Kita- Experte des Deutschen Städtetages, Jürgen Blenk, befürchtet. Beispiel Sachsen: Dort will sich das Land bei Krippenplätzen mit 40 Prozent, bei den Kindergärten mit 37 Prozent an den Kosten pro Platz beteiligen. Die Eltern sollen einen Anteil von 20 bzw. 25 Prozent berappen, die Beiträge werden für die Krippe auf 150 Mark, für die Gärten auf 120 Mark geschätzt. Die Kommunen müssen die restlichen 37 Prozent aufbringen. Doch dabei wird es nicht bleiben, denn die Kommunen sind verpflichtet, für die einkommensschwachen Eltern einzuspringen, und dadurch entstehen zusätzliche Belastungen.

Während die größeren Städten es noch schaffen könnten, sieht es vor allem für die kleineren Gemeinden düster aus. Einsparungen können schnell zur Schließung führen. „Wir können nur hoffen, daß die Bürgermeister vor Ort bei der Stange bleiben“, resümiert Ilas Diller-Murschall. Aber danach sieht es nicht aus. Das sächsische Sozialministerium erreichten in den letzten Tagen reihenweise Briefe von Erzieherinnen, die über ihre Kündigung berichteten. Durch die Kommunen gehe eine Welle von „Panikentlassungen“. Helga Lukoschat