Die fehlende Handbreit Wasser unterm Kiel

140 Jahre Schiffbau in Rostock zu Grabe getragen/ Tränen der Wut und Verzweiflung bei Tausenden Werftarbeitern  ■ Von Frauke Kaberka

Rostock. Mit dem letzten Stapellauf eines Containerfrachters auf der Rostocker Neptun-Werft wurde am Sonnabend eine über 140jährige Schiffbautradition zu Grabe getragen. „Ein Stapellauf ist wie eine Geburt und sollte ein freudiges Ereignis sein“, sagte Rostocks Oberbürgermeister Klaus Kilimann (SPD), der mit dem Bürgerschaftspräsidenten Christoph Kleemann (Neues Forum) auf einem Meeting den Tausenden Werftarbeitern seine Solidarität versicherte. „Dieses Ereignis heute schnürt einem jedoch die Kehle zu. Es ist ein schwarzer Tag für Rostock.“ Damit sprach er aus, was viele dachten und verbitterte Minen und zahlreiche Tränen widerspiegelten: Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, aber auch Wut und Ohnmacht. Der Optimismus der Schiffbauer vor Jahresfrist, als zum 1.Juli mit der Wirtschafts- und Währungsunion auch dem Osten Deutschlands eine neue Perspektive geboten wurde, ist tiefer Depression gewichen. Die Aussicht für Tausende Werftarbeiter, der drohenden Arbeitslosigkeit in einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft vorerst zu entgehen, scheint auch nicht allzu rosig. Obwohl die Stadt mit einem Anteil von 51 Prozent bereits den Grundstein legte und die Neptun-Werft mit einem Teil der Anlagen im Reparaturbetrieb Gehlsdorf räumliche Voraussetzungen geschaffen hat, fehlt die entscheidende Unterschrift auf dem Gründungsvertrag: die der Deutschen Maschinen- und Schiffbau AG (DMS), die als Stammunternehmen bereit ist, personelle, materielle und finanzielle Unterstützung zu geben. Allein die Treuhand untersagt eine Beteiligung.

Die Neptun-Werft wird als Reparaturbetrieb künftig zur größeren und jüngeren Warnemünder Warnow-Werft gehören. Von einstmals über 5.000 Mitarbeitern können höchstens 1.100 bleiben. „Es ist schon eine bittere Pille, keine Schiffe mehr bauen zu können“, sagte Walter Maier (57), der vorerst noch nicht mit einer Entlassung rechnet. Gerade dieses Rostocker Unternehmen dokumentiere wie kein zweites die Tradition der Stadt. Hier entstand 1841 das erste schraubengetriebene Eisenschiff Deutschlands, die „Erbgroßherzog Friedrich Franz“. Containerserien, Spezialbauten wie Fähren, Schul-, Forschungs-, Hebe- und Trailerschiffe oder See-Eimerkettenbagger trugen den Namen der Rostocker Werft in alle Teile der Welt.

Insgesamt entstanden auf den Hellingen von 1850 bis 1991 exakt 1778 Schiffe und Spezialbauten, die an Reedereien in 26 Ländern Europas, Asiens, Afrikas und Amerikas geliefert wurden. Führende Weltreedereien waren in Rostock Kunde, so die Hapag Lloyd, die elf Schiffe kaufte, unter ihnen den 1902 gebauten Dampffrachter „Prinz Sigismund“, der immerhin 56 Jahre im Dienst war.

Eine technische Höchstleistung stelle die Verlängerung der Eisenbahnfähre „Friedrich Franz IV.“ 1906 dar, sagte Neptun-Werft-Geschäftsführer Steffen Rockmann. Aber auch die jüngsten Erzeugnisse könnten auf dem Weltmarkt bestehen. „Die Geschichte unserer Werft ist die Geschichte des Schöpfertums und der Kraft der in diesem Raum lebenden Menschen“, sagte er. Nun ende zwar die Tradition des Schiffneubaus. Das sei aber nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Neptun- Werft.

So sieht es auch die IG Metall in Rostock. Daß der Betrieb überhaupt weiterexistiere, sei das Verdienst der Arbeitnehmer und Gewerkschafter, die nie klein beigegeben hätten und durch Geschlossenheit Druck auf Arbeitgeberverbände, Bund und Land ausübten, sagte der erste Bevollmächtigte der IG Metall, Rüdiger Klein.

In diesem Sinne müsse nun weitergekämpft werden, um auch die Gründung der Beschäftigungsgesellschaften durchzusetzen. Er rief alle Rostocker auf, durch weitere Aktionen am kommenden Freitag Druck zu machen. Dazu könnten Großversammlungen, Protestaktionen vor der Rostocker Niederlassung der Treuhandanstalt, aber auch Betriebsbesetzungen zählen.

Arthur Wahl (63), dem 1990 nach 40jähriger Dienstzeit bei „Neptun“ gekündigt worden war, brachte es auf den Punkt: „Wir Werftarbeiter haben schon immer zu kämpfen verstanden. Unsere Entschlossenheit werden wir nicht verlieren.“ dpa