»Ich hätte nie gedacht, mich so nutzlos zu fühlen«

■ Heute endet für 27.000 Menschen in Ost-Berlin die sogenannte Warteschleife/ Keine Chance für Frauen über 50

»Ein neuer Job?« Mein Gegenüber lacht. Es ist ein gequältes Lachen. »Nein. Der Zug ist für mich abgefahren.« Barbara Schild (Name geändert) ist 55 Jahre alt und nur eine von 27.000 ehemaligen Beschäftigten aus den Magistratsbehörden und DDR-Ministerien in Ost-Berlin, für die heute die Warteschleife ausläuft.

Wieviele von ihnen noch eine Aussicht haben, wieder eingestellt zu werden, ist ungewiß. Vor dem Berliner Arbeitsgericht sind noch über 1.000 Klagen wegen unrechtsmäßiger Versetzung in den Wartestand anhängig.

Barbara Schild aber hat aufgegeben. »Bis vor kurzem habe ich noch Bewerbungen losgeschickt. Irgendwann sind die ewigen Absagen zu entwürdigend. Ich bin eben zu alt.« 19 Jahre hat sie in Ost-Berlin in einem Industrieministerium als Finanzwirtschaftlerin gearbeitet, Ende September kam der Brief: Abgewickelt! »Dann war erstmal alles aus.«

Die Verzweiflung ist Barbara Schild noch anzusehen, aber auch Wut. Inzwischen geht sie wieder auf die Straße und genießt ihren Garten. Doch dazwischen lagen endlose Zeiten der Leere. Ein halbes Jahr, sagt sie, hat sie nur weinend zu Hause gesessen, kraftlos und gedemütigt. Barbara Schild blickt auf den Boden. »Was sollte ich denn machen den ganzen Tag?«

Gewehrt hat sie sich gegen die Kündigung erst einmal nicht, obwohl sie nach einer Operation schwerbeschädigt ist und nicht in den Wartestand hätte versetzt werden dürfen. Den ganzen Winter über hat sie Rätsel gelöst, tagelang geschlafen, den Kontakt zu Freunden und Nachbarn gescheut. »Bei uns gab es sowas nicht, arbeitslos zu sein, ich hätte nie gedacht, mich so nutzlos und abgeschoben zu fühlen.«

Seit April erst rappelt sie sich langsam wieder auf, geht aus dem Haus und versucht, das Beste daraus zu machen — »so gut das eben geht mit 900 Mark im Monat.« Das Geld wird immer knapper. Seit heute bezieht Barbara Schild Altersübergangsgeld, das sind nur noch 65 statt 70 Prozent des alten Einkommens. Und für sie zählt jede Mark. Denn ihren Vermieter interessiert ihr Schicksal herzlich wenig. Der möchte nämlich ab 1. Oktober fast 400 Mark für Barbara Schilds Wohnung im Prenzlauer Berg sehen — statt rund 30 Mark, die sie jetzt zahlt. Die Angst vor Altersarmut ist groß, Ersparnisse hat sie keine.

Aber wenigstens ihr Selbstbewußtsein hat sie mit Mühe zurückerlangt. Nicht zuletzt wegen ihrer Wut auf die Wessis. »Daß die von ihren großen Kuchen nichts abgeben würden, war mir klar. Aber ich lasse nicht mehr alles mit mir machen.«

Jetzt stellt sich Barbara Schild auf einen langen Lebensabend ein, sie interessiert sich für Politik, liest viel und hat auch noch die eine oder andere Reise vor. Am meisten sehnt sie sich nach einer Arbeitsstelle und Kollegen mit vertrauten Gesichtern.

Wie eine Rentnerin sieht sie auch beim besten Willen noch nicht aus. 41 Jahre hat sie gearbeitet in der ehemaligen DDR, »und zwar gerne, obwohl da auch nicht alles Gold war, was glänzte«. Weinend an der Mauer gestanden hat Barbara Schild am 9. November 1989 ohnehin nicht, auch wenn sie der Mauerfall »irgendwie angerührt« hat. Allzulange hat die Rührung nicht angehalten: »Am liebsten würde ich die Mauer jetzt wieder aufbauen.« Jeannette Goddar