CROSS-SCHLAG
: Späte Rache

■ Warum Jimmy Connors sein 100. Wimbledon-Match fernab vom Centre Court bestreiten mußte

Ihr wißt gar nicht, was ihr an mir habt, bis ihr es verliert“, warnte Jimmy Connors 1988 die JournalistInnen, die ihn unaufhörlich löcherten, wann er den endlich abtrete. Heute wissen sie's, und Connors feixt sich eins: „Da seid ihr ja alle, das freut mich“, begrüßt er die Menschenmenge in der Pressekonferenz und strahlt sein Spitzbubenlächeln. Gerade hat er, der 38jährige Altmeister, den 23jährigen Aaron Krickstein (USA) aus der zweiten Wimbledon-Runde geworfen. So waren natürlich alle gekommen, ein Fossil zu bestaunen, das immer noch beißt.

Wie er's überhaupt noch schafft, weiß niemand. Am allerwenigsten sein Arzt. In unglaublich kurzer Zeit hatte er sich von den greuslichen Kreuzschmerzen und dem Beinahe-Kollaps bei den French Open erholt, erzählt er stolz. Aber zum Schlägertragen brauche er Hilfe — von seinem zwölfjährigen Filius. Jimmy Connors, der gefürchtete Kotzbrocken von einst, platzt fast vor Vaterstolz. Seine Tochter sei noch zu klein und habe ihn noch kein Match spielen sehen. „Das muß ich noch schaffen, das ist mir wichtig.“ Keiner fragt, wie schnell die Kleine wächst. Eine Prognose über Jimmy Connors Ende wagt ohnehin längst niemand mehr. Mindestens acht Abgesänge hat jeder schon geschrieben, die meisten in Wimbledon.

Aouhhhh! Mit kehligem Aufschrei fällt Jimbo in seinen Aufschlag. Das Kampftier, haut um sich. Immer noch von der Grundlinie, immer noch mit kräftezehrender Rennerei. Insgeheim hofft man, er würde auf Serve and Volley umstellen, der Gesundheit zuliebe. Kann er aber nicht, konnte er noch nie. So fuselt er weiter, kraftvoll, kämpferisch, puterrot. Auch gegen Krickstein, schweratmend schon im dritten Satz. Besorgte Blicke streifen die Anzeigetafel. Sicher, er ist wieder wunderbar, mit herrlich langen Grundlinienschlägen, blitzschnellen Passierbällen, eingestreuten Volley- Stopps. Aber den dritten Satz, den muß er gewinnen. Drei-Satz-Sieg Connors oder Fünf-Satz-Sieg Krickstein. Auf der Tribüne wird etlichen Daumen schwer zugesetzt. Langsam, hol Luft. Hier und da brüllt ein Fan dazwischen, damit der Schiedsrichter spielverzögernd ermahnt. Zehn Sekunden mehr für Jimbo. Und er schafft es: 6:3, 6:2, 6:3, dritte Runde.

1974 und 1982 hat er Wimbledon gewonnen, sechs Mal stand er im Finale. Jimmy Connors ist eine Institution, und als solche bekommt die Nummer 221 der Welt seine „Wild Card“ sogar in Wimbledon, wo er mehr als sonstwo auf der Welt die Aristokraten mit seinem obszönen, spöttischen Auftreten demütigte und provozierte. Jetzt, im Alter, sucht er nostalgisch Versöhnung. Aber der Brite vergißt nicht so leicht. Und er tut nichts zufällig. Warum also spielt die Tennislegende Connors sein Erstrundenmatch zwar auf dem No.1-Court; sein 100. Wimbledon-Match jedoch, wo das Centre-Court-Publikum ihm stehenden huldigen sollte, geigt er auf dem Außenplatz Nummer 14 runter? Tags drauf hingegen darf er gegen Derrick Rostagno auf das Heiligtum unter den Greens. Das ist nicht nur ungewöhnlich, das ist hochgradig verdächtig.

Die taz recherchierte — und entdeckte den wahren Grund der seltsamen Entscheidung. Es war, so die kühne These, späte Rache: 1978 feierte der All England Lawn Tennis Club mit großem Pomp sein 100. Bestehen auf dem Centre Court und lud alle Wimbledon- Champs als schmückendes Beiwerk ein. Ein aufgeblasener Mist sei das und völliger Blödsinn, beschloß Jimbo Tennispunk dereinst und trainierte lieber auf einem Außencourt — mit Ilie Nastase, dem einzigen, der einen noch übleren Ruf hatte als er. Diese Schmach hat der Brite nicht verwunden. Geduldig wartete er dreizehn Jahre lang auf die Revanche. Am Samstag war's soweit. Wenn du nicht mit uns feierst, feiern wir auch nicht mit dir. Jimbo, der einzige Mann, der dieses Jubiläum schaffte, wurde in die Wüste geschickt.

Doch er ließ sich nichts anmerken: Ein Match wie jedes andere..., froh, keinen Druck gehabt zu haben, ...es mache immer so viel Spaß. Sicher sei es zwiespältig für einen Mann in seinem Alter, gegen die jungen Weltklassespieler anzutreten, aber er fände es einfach erregend. Und die Jungen stört es auch nicht, schließlich sind sie mit ihm aufgewachsen. Das André Agassi, wie viele glauben, sein Spiel kopiert, hält er für eine prima Idee. Aber nun müsse er gehen, verabschiedet sich Jimbo, genug geplaudert. „Jetzt muß ich schnell zur Arbeit, nach all dem Spaß.“ Und er entschwindet in Richtung Kommenatatorenkabine des US- Senders NBC. miß