Der Waffenstillstand ist zerbrechlich

■ Die slowenischen Milizionäre leben in höchster Anspannung und trauen den Nachrichten nicht so recht

Hinter der Kurve, am Ausgang des Dorfes, kommt schon die nächste Straßenbarrikade. Zwei Lastwagen, ein Bus und ein Sattelschlepper sind ineinandergeschoben. Davor lümmeln einige slowenische Soldaten. Ihre jungen Gesichter passen kaum zu den groben Uniformen und den Maschinenpistolen, die manche ungelenk über die Schulter tragen. Plötzlich kommt Bewegung in die Szenerie. Das lauter werdende Gebrumm eines Flugzeugs hat die Soldaten aufgeschreckt. Kampfpositionen werden eingenommen, aus der Scheune eines Bauernhauses dringen Befehle. Langsam werden die Propellergeräusche leiser und die Soldaten entspannen sich.

„Seit 43 Stunden geht das nun schon so.“ Die Ränder unter den Augen des jungen Mannes zeugen von der Anspannung der letzten Stunden. Denn hier, knapp acht Kilometer vom Flughafen der Hauptstadt Sloweniens, Ljubljana, entfernt, ist der Kampf für die Unabhängigkeit des Landes zur blutigen Realität geworden. Am Freitag hatten Verbände der jugoslawischen Volksarmee den Flughafen angegriffen, im Geschoßhagel der MIGs und der Hubschrauber wurden Hangars und Hallen in Brand geschossen. Es gab mehrere Tote. Seither halten sie Wache, die Mitglieder der slowenischen Territorialarmee — Soldaten, die ihren Wehrdienst in der jugoslawischen Volksarmee abgeleistet haben und jetzt von den slowenischen Behörden eingezogen wurden. Alle kommen aus dem Dorf, das sie verteidigen sollen. „Dort hinten leben meine Frau und meine Kinder“, deutet einer in Richtung eines im alpenländischen Stil erbauten Bauernhauses.

Durch grüne, saftige Wiesen, unterbrochen von Waldstücken und unter dem Panorama der mit Schnee bedeckten Alpen weiterfahrend, taucht das Wrack eines T-54 Panzers auf. Die Explosion muß gewaltig gewesen sein, der Panzerturm liegt neben dem ausgebrannten Rumpf. Ein Mann und ein paar Kinder suchen nach Souvenirs. „Die Rakete wurde von dem Haus da drüben abgeschossen“, berichtet er ein bißchen stolz. Nach dem Treffer seien drei Soldaten herausgeklettert und hätten sich den Milizionären ergeben. „Einer kam aus Rijeka, einer war Serbe und der dritte Mazedonier.“

Noch sind es 500 Meter bis zu den Stellungen der jugoslawischen Volksarmee. Hier in Brnk ist die letzte Straßensperre aufgebaut, hier verläuft die Front. Ein Milizionär bedeutet barsch, daß nun auch die Presse nicht mehr weiterfahren darf. Ausgestattet mit einer blauen Uniform, einer kugelsicheren Weste und einer Zastava-Maschinenpistole scheint er dem Kriegshandwerk mehr zugetan zu sein als die Soldaten der hinteren Verteidigungslinien. „Wir sind eigentlich Polizisten“, gibt er sich versöhnlich. Den Waffenstillstand hält er für äußerst zerbrechlich, zumal die Nachrichten von der italienischen Grenze wenig verheißungsvoll sind. Auch seine etwa 30 Kollegen sind aufs höchste angespannt und nervös. Ein Bus mit Soldaten der Territorialeinheiten kommt vorbei und biegt ab ins Dorf. Eben sei die Nachricht gekommen, die Armee ziehe sich in die Kasernen zurück. Die Polizisten sind mißtrauisch und bleiben auf dem Posten. „Wer hat dieses Gerücht in die Welt gesetzt“, fragt einer.

In der Dorfkneipe spielen einige Männer Poolbillard. Sie trinken Bier, zu Essen gibt es Schweinebraten. Zwei Soldaten der Territorialstreitkräfte werden freudig begrüßt, sie führen ihre neue Uniform vor und werden sofort bewirtet. Beide sind erst seit einem Tag im Dienst. „Sie brauchen nicht zu bezahlen“, bedeutet die Kellnerin. Weg wolle sie nicht, alle blieben hier, auch wenn es zum Kampf komme. Erich Rathfelder, Ljubljana