„Der Kampf wird mit Haß ausgetragen“

■ Für große Teile der slowenischen Bevölkerung nahe der italienischen Grenze steht fest, daß es eine Verhandlungslösung nicht geben kann — die Zivilbevölkerung schwankt zwischen Ausharren und Flucht

Seine Erfahrung mit dem Überschreiten der „Grünen Grenze“, unbemerkt von den Carabinieri hier und den Soldaten dort, hat Bruno Zuena noch nicht allzu lange erworben. Doch sie hat ihn bereits zu einer Art Institution gemacht: Bis vor wenigen Wochen hat er auf dem Grenzstreifen zwischen Gorizia und Triest wöchentlich mehrere hundert, meist asiatische Arbeitssuchende herübergeschleust — Kopfgeld an die 200.000 Lire, umgerechnet gut 270 Mark. Um die 20 bis 50 leute brachte er auf einer solchen Tour meist mit.

Derzeit hat Bruno andere Kunden — vor allem Journalisten, doch sind, wie er mutmaßt, „auch andere Vögel darunter, Geheimdienstler und, wenn ich die Konturen ihrer Rucksäcke richtig deute, Söldnertypen, die sich für den Kampf anbieten“. Für Journalisten ist der illegale Grenzübertritt ins benachbarte Slowenien derzeit die einzige Möglichkeit, von Italien aus unbehelligt ins Kampfgebiet vorzustoßen. Zwar ist die Grenze immer nur zeitweise geschlossen, aber seit beim Bombardement auf den Flughafen Ljubljana zwei Kollegen getötet wurden, wollen weder die Sezessionisten noch die Zentralisten vorwitzige Zeugen hereinlassen, deren mögliche Beschädigung ihr internationales Prestige schädigt.

Die ersten Schüsse sind bereits unweit des Grenzpostens Sant' Andrea nach Nuova Gorizia zu hören. Die jüngeren Kollegen, die Krieg nicht mehr kennen, erinnert das eher an die Jagd oder an Feuerwerk. Doch unvermittelt wird es dann ganz ernst: Pfeifend saust eine Granate über uns hinweg, sie schlägt auf offenem Feld gut einen Kilometer vor uns ein. Wir flüchten ins Gebüsch, das hier gottlob so dicht steht, daß man sich fast schon geborgen fühlt.

Das allerdings wissen andere auch — vor allem die slowenischen Milizen, denen wir auf einmal gegenüberstehen. Sie sind nicht gerade kriegstüchtig ausgerüstet, in ihren Jeans, mit einem Käppi gegen Regen und Sonne, einem nahezu leeren Rucksack und als Bewaffnung einem Jadggewehr mit Zielfernrohr; dazu hat jeder auch noch eine — eine! — Handgranate. Kein Wunder, daß die Soldaten der Zentralregierung den Posten Casa rossa da vor uns ohne große Schwierigkeiten wiedererobert haben — eine Prestigefrage, denn die slowenische Miliz hatte zunächst mit ihren Panzerfäusten fünf Panzer zerstört und 50 Volksarmisten gefangengenommen. Einer der Panzer brennt immer noch. „Aber nicht mehr er selbst“, sagt Piotr, einer der Milizsoldaten, „wir schütten immer wieder Benzin hin. Dieser brennende Panzer dient uns als Symbol und ist für euch Presseleute ein schönes Fotomotiv.“

Bis Donbek sind es zwölf Kilometer, gute zwei Stunden Fußweg, wenn man normal wandert. Beim dauernden Verstecken kommen fast vier dabei raus, rissige Hände und einige beim Ducken verlorene Gegenstände. Die drei von der Miliz haben uns zwei Kilometer begleitet, um uns um die an mehreren Stellen eingebuddelten Minen herumzuführen. Drei abgelegene Höfe haben deutlich sichtbar zwischen der Wäsche Wimpel aufgehängt, als Zeichen dafür, daß sie auf der Seite der Sezessionisten stehen. Die Bewohner, zu herzlicher Bewirtung bereit, haben allem Anschein nach weder Koffer gepackt noch Türen und Fenster verrammelt. „An Flucht denken nur wenige, bis jetzt zumindest“, sagt Bauer Pilan, „auch wenn klar ist, daß dieser Konflikt mit Haß ausgetragen werden muß und nicht mit Verhandlungen.“

Wogegen der Haß sich konkret richtet, bleibt unklar. Zweifellos gegen die Zentralregierung, aber auch gegen die Serben, gegen die alten Funktionäre der Partei. Wenn man richtig hinhört, ist es wohl alles, dem man sich bisher unterordnen mußte. „Von Europa“, sagt Pilan, „erwarten wir nichts mehr, obwohl es einst unsere große Hoffnung war. Aber man muß offenbar wie die Polen Tausende von Heiligen im Himmel und auf Erden den Papst haben oder, wie im Baltikum, den Russen ein Stachel im Fleisch sein, sonst kommt man zu nichts.“ Die Hoffnung hier ist, daß die Zentralregierung vom Ausland lediglich Zuspruch, aber keine Waffen erhält. „Und die Waffen, die sie haben, sind bald aus; wir lassen sie alles umsonst verpulvern. Für jeden Schuß, den wir auf sie abgeben, ballern die zehn irgendwohin zurück, weil wir unsichtbar sind.“ Dieses Wissen hat Piotr aus einem Handbuch über südamerikanische Guerillas. Eine realistische Vorstellung, wie die abgespaltenen Regionen sich wirtschaftlich durchschlagen sollen, hat auch er nicht. Man hofft eben, durch Faktenschaffen Solidarität zu provozieren.

Bruno bringt uns wieder zurück nach Italien, über die Grenze nach Gorizia, von da mit dem Auto über die Schnellstraße nach Triest. Im nahen Skofje hat es gestern besonders starke Schießereien gegeben. Hier, von Bruno erneut über die Grenze nach Slowenien geschleust, bemerken wir nun doch Fluchtvorbereitungen. Immer mehr Autos stehen gepackt vor den Häusern. Meist treibt sich ein Fahrer in der Nähe herum, jederzeit abfahrbereit. Frauen sitzen untätig vor den Fenstern, alle in ihren besten Kleidern. Bruno macht große Bögen um die Orte. Crni Kal umgehen wir so weit, daß wir die Menschen dort nur mit dem Fernrohr erkennen können; am Ortseingang haben wir mindestens zehn Panzer ausgemacht, alle mit dem Wappen der jugoslawischen Volksarmee. Kaum 500 Meter davon entfernt — Bruno hat gute Augen und bemerkt es ohne Feldstecher — im Unterholz die Maschinengewehrläufe und die Panzerfaustköpfe der Miliz. Ständig hört man Schießereien, meist aus dem Osten. Es hört sich an wie eine große Truppenübung, so regelmäßig kommen die Detonationen. Eine Rauchsäule aus der Umgebung von Materija, möglicherweise wieder ein geknackter Panzer.

Bruno schreitet zügig in Richtung italienischer Grenze, biegt dann aber kurz nach Skofje wieder nach Süden ab. Gegen Abend erreichen wir Koper. Trotz der slowenischen Bezeichnung verdient der Ort eher seinen alten Namen: Capodistria — ein Hauch von westlicher Adria. Hier trifft man auf die Minderheit, die merkwürdigerweise im Konzert der Autonomisten ihre Stimme kaum erhoben hat: die bei der Abtretung Istriens an Jugoslawien vom Stiefel getrennten Italiener. Bis vor wenigen Monaten hatte es in Triest/West noch die traditionellen Kundgebungen zur Wiederzusammenführung der von einem Maschendraht zerschnittenen Stadt gegeben. Neofaschisten waren immer mal wieder auf die trennenden Zäune gesprungen, um den Anspruch Italiens auf die istrische Halbinsel zu bekräftigen. „Natürlich könnte das eine Lösung für uns sein“, sagt der ehemalige Stadtrat Virgilio Bassano, Vorsitzender einer eher wie eine Folkloretruppe anmutenden Vereinigung im Süden der Halbinsel. „Doch wenn ich mir ansehe, mit welchem Haß die übrigen Autonomiebewegungen vorgehen, möchte ich ehrlich gesagt nicht erst mal 5.000 unserer 140.000 Volksitaliener verlieren, um heim ins Reich zu gelangen. Wir wollen vor allem Ruhe — ob in einer autonomen Republik, in einer Föderation oder bei Italien, ist uns wurscht.“ Werner Raith, Triest