Die Brücken zu Jugoslawien sind zerschlagen

■ Nach dem Ablauf des Ultimatums der jugoslawischen Volksarmee, wonach die slowenische Miliz ihre Angriffe gegen die Armee einstellen sollte, wurde am Sonntag in Ljubljana Bombenalarm gegeben...

Die Brücken zu Jugoslawien sind zerschlagen Nach dem Ablauf des Ultimatums der jugoslawischen Volksarmee, wonach die slowenische Miliz ihre Angriffe gegen die Armee einstellen sollte, wurde am Sonntag in Ljubljana Bombenalarm gegeben. Die Miliz kontrolliert Regierungsviertel und Zufahrtstraßen. Die EG intensiviert ihre Vermittlungsbemühungen.

Am Sonntag morgen um 9.00 Uhr heulen die Sirenen in Ljubljana. Flugzeuge der jugoslawischen Volksarmee, so Radio Ljubljana, sollen in Serbien aufgestiegen sein, um einen Bombenangriff auf Slowenien zu fliegen. In der slowenischen Hauptstadt wird es mucksmäuschenstill. Nervös und angespannt stehen die Milizionäre an den Kreuzungen und in Hauseingängen, sitzen hinter den Barrikaden aus Bussen, Lastwagen und Baumaschinen — den Finger am Abzug der Maschinenpistolen. Die Straßen sind wie leergefegt, nicht einmal einzelne Autofahrer tasten sich, wie in der Nacht noch, die Hauptstraßen entlang. Milizfahrzeuge patrouillieren in kurzen Abständen, in der Nacht schon fielen vereinzelt Schüsse, es soll drei Tote gegeben haben.

Seit das Ultimatum der Armeeführung aus Belgrad bekannt wurde, herrscht nach dem kurzen Aufatmen vom Freitag, als die trügerische und oftmals gebrochene Feuerpause verkündet wurde, wieder Hochspannung in der sonst so liebenswerten Barockstadt, in deren Gassen zu dieser Jahreszeit unter normalen Umständen die Menschen flanieren und sich in den Straßencafés und Musikkneipen drängen. In einer Erklärung vom Samstag abend hat General Marco Negovanovic, Kommandeur der Spionageabwehr und Mitglied des Generalstabs, die slowenische Führung aufgefordert, sich bedingungslos den Forderungen zu unterwerfen, andernfalls werde die Armee „mit allen Mitteln“ eingreifen. Die slowenische Regierung habe den Waffenstillstand nicht eingehalten, und Soldaten der Volksarmee würden ungerechtfertigt angegriffen.

Es ist schon erstaunlich, wie sich das kleine Land in dieser Krise zu helfen weiß. Militärisch wurde in den letzten Tagen ein Patt herbeigeführt, es gelang sogar, 700 Soldaten des Gegners gefangenzunehmen. Die Brutalität des Angriffs der jugoslawischen Volksarmee, der auf die Zollstationen und damit auf ein Symbol der Unabhängigkeit zielte, hat die letzten Zweifler und Unentschiedenen in Slowenien mobilisiert — und das, obwohl mindestens 40 Tote zu beklagen sind. Die jungen Männer folgen dem Einsatzbefehl für die Territorialstreitkräfte, die Bevölkerung verhält sich ruhig. Es kommt weder zu Panik noch zu Fluchtbewegungen. Alle sind sich bewußt, daß jetzt, nach dem Angriff der Volksarmee, der Weg zurück unmöglich geworden ist. Die Brücken zu Jugoslawien sind psychologisch zerschlagen — auch wenn um des Friedens willen ein temporärer Kompromiß gemacht werden müßte. So ließ die Verlautbarung von Negovanovic das Blut in den Adern der Slowenen kochen. „Wer hat denn den Krieg angefangen“, fragt eine Frau, die sich mit einem Hund an der Leine trotz des Fliegeralarms an das Flußufer gewagt hat.

Und mit dieser Äußerung trifft sie den Ton der Erklärung des slowenischen Parlaments, das noch in einer Nachtsitzung eine offizielle Antwort an die Adresse der Militärs und der Bundesregierung formulierte. In ihr wird das brutale Vorgehen der jugoslawischen Streitkräfte gegeißelt und der slowenischen Regierung und dem Präsidenten Kucan das Vertrauen ausgesprochen — obwohl Kucan wegen seiner Übereinstimmung mit den drei Punkten der EG-Emissäre nicht ganz unumstritten ist. Slowenien, so hieß es schon vorher inoffiziell, habe nichts zurückzunehmen; die Okkupationsarmee müsse sich sofort zurückziehen. Die Verteidigung werde wie bisher weiter organisiert.

Schon mehrere hundert Überläufer

Janez Jansa, der Verteidigungsminister, der am Samstag in einer für ihn ungewohnten Militäruniform vor die Presse trat, wies in einer Erklärung darauf hin, daß sofort Waffenstillstandsverhandlungen aufzunehmen seien — wie es zwischen kriegsführenden Parteien üblich sei. Es gehe nur noch um die Bedingungen für den Rückzug der jugoslawischen Volksarmee. Danach könne auch über das Schicksal der Gefangenen gesprochen werden. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er bekanntgab, daß schon mehr als dreihundert Soldaten und Offiziere zur slowenischen Seite übergelaufen seien.

Am Samstag nachmittag hatte die Nachricht, daß General Civil Zabret, ein Slowene, Mitglied des Kommandos Nord in Zagreb, wie auch der Vizepräsident Jugoslawiens, der Slowene Zivko Pregelij von ihren Posten zurückgetreten seien, Freude ausgelöst. Dagegen ist General Brovet „ein Verräter“, erregt sich einer der Milizionäre, die vor dem Parlament Wache schieben. Er meinte den Kommandierenden der Militäraktion in Slowenien, der ebenfalls Slowene ist. Die Kampfmoral der jugoslawischen Truppen sei gering, schätzt ein Offizier ein. Sie kämpften außerdem nur deshalb, weil sie seit fünf Monaten von der Außenwelt isoliert waren. „Die jugoslawischen Soldaten glaubten, Angreifer aus Italien und Österreich vor sich zu haben. Damit wurde der Angriff auf die Grenzposten legitimiert. Wenn sie die Wahrheit wüßten, würden sie sich nicht gegen das slowenische Volk erhoben haben.“ Tatsächlich seien ja mehr als die Hälfte der Soldaten Albaner, Bosnier, Mazedonier, Kroaten und auch Slowenen, immerhin noch an die 530 Mann, die auf der falschen Seite kämpfen müßten. Nur die serbischen Soldaten seien für die Armee verläßlich. Doch einen direkten Aufruf an die Soldaten auch der anderen Nationalitäten, die Seiten zu wechseln, unterblieb bisher.

„Wenn Negovanovic dieses Ultimatum stellt, dann bedeutet das auch, daß es im Militär selbst zu einer Verhärtung gekommen sein muß, denn der Mann ist ein Hardliner, dagegen ist selbst Brovet eine Taube“, sagt ein slowenischer Freund. Die Armeeführung habe alles zu verlieren, nicht nur ihre Privilegien. Ihre Existenz sei geknüpft an ein einheitliches Jugoslawien. Es sei auch zu fragen, ob die Bundesregierung unter Markovic noch Einfluß auf den Gang der Dinge habe. „Doch sie haben den Teufel gerufen, jetzt sollen sie auch zum Teufel gehen.“

Um 11.30 Uhr wird Entwarnung gegeben. Die Flugzeuge sollen auf kroatischen Flughäfen gelandet sein. Wie soll es jetzt weitergehen? Präsident Kucan wiederholt auf einer eilig zusammengerufenen Pressekonferenz seine Zustimmung zum Drei- Punkte-Plan der EG, der in der Nacht zum Samstag in Zagreb mit Gianni de Michelis (Italien) und Jaques Poos (Luxemburg) ausgehandelt wurde. Danach sei Slowenien zu einer Feuereinstellung bereit, die jugoslawische Volksarmee habe sich aber unverzüglich zurückzuziehen. Selbst dem zweiten Punkt stimme er zu, die sich auf die Aussetzung der Deklaration der Unabhängigkeit bezieht, jedoch mit der Einschränkung, daß Slowenien seine Unabhängigkeit nicht aufgeben werde. Es könne sich also nur um einen Verhandlungsprozeß handeln. Und der dritte Punkt, die Wahl des Kroaten Mesic zum Staatspräsidenten, sei von Slowenien längst schon, am 15. Mai, entschieden worden. Jetzt aber, nach all den Ereignissen, halte man sich nicht mehr für einen Teil Jugoslawiens.

„Es hängt vom Ausland ab, was jetzt passiert“

Die Nachrichten über die Mobilmachung in Serbien, über Truppenkonzentrationen an der serbisch-kroatischen Grenze und die Generalmobilmachung in Kroatien deuten darauf hin, daß es nun wirklich Ernst wird mit der Entwicklung hin zum Bürgerkrieg. Der Präsdient des Regierungsbündnisses, Pucnik, gegenüber der taz: „Sie lassen die Flugzeuge aufsteigen und landen. Das vielleicht zehnmal. Doch beim elften Mal kommen sie.“ Es hängt jetzt auch vom Ausland ab, was hier in Jugoslawien weiter passiert.

Außer den Österreichern hat niemand direkte Unterstützung für das Selbstbestimmungsrecht Sloweniens geäußert. Bisher haben sich in Ljubljana nur eine kleine italienische Delegation und der Radikalen-Parteichef Pannella, am Sonntag dann die deutschen Sozialdemokraten, unter ihnen Karsten Voigt, in Ljubljana blicken lassen. Der Kredit der EG an Markovic ist vom Militär als Zeichen zur Unterstützung für ihr Eingreifen gewertet worden, erklärten unter anderen der slowenische Schriftstellerverband. Für die Slowenen kommt es jetzt darauf an, daß diese Fehlentscheidung der EG mit einer völkerrechtlichen Anerkennung der Unabhängigkeit korrigiert wird. Erich Rathfelder, Ljubljana