Ein hingeschlumpfter Haufen

■ Städtebau für die Ewigkeit? Oder voll biologisch abbaubar? Kultbauten am Rembertiring / Taz-Serie zur Bremer Architektur (9)

Selbst Kirchen, Gemeinde- und Pfarrhäuser fallen nicht einfach vom Himmel. Wenn im nächsten Frühjahr im Viertel direkt am Rembertiring der Grundstein für eine Kirche gelegt wird, dann waren und sind dafür Menschen verantwortlich, die irren können.

Das Stadtplanungsamt hat die kirchlichen Bauvorhaben an dieser Stelle gebilligt, der Fachausschuß Bau und Verkehr des Ortsbeirats Mitte hat den Entwurf des Ostberliner Architekten Ebert einstimmig abgesegnet. Selbst Ortsamtsleiter Hucky Heck lobt den „städtebaulichen Akzent“ des geplanten architektonischen Fragezeichens, dessen wuchtige Betonmauern sich bis auf 17 Meter hochrappeln und bloß so tun, als seien sie vollständig biologisch abbaubar.

Trotz der anderen Absichten, die man ursprünglich mit der Ecke hatte, wurden hier vor vier Jahren drei Grundstücke in exponierter Lage für insgesamt 672.000 Silberlinge wohlfeil an eine kleine „Christengemeinde“ verkauft. (Und damit haben wir eigentlich Glück gehabt. Das liberale Los hätte ja auch den very exotic „Ashram Tempel“ eines Guru-Fanclubs treffen können, oder?)

Die Glaubensgemeinschaft besteht immerhin seit 1922, ist ohne Bindung zur Ökumene, bekennt sich zu den Evangelien von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes und den Schriften des Anthroposophen Rudolf Steiner selig. In Bremen hat sie etwa 350 Mitglieder. Die stellen freiwillig Geld und Arbeitskraft bereit für dieses ehrgeizige Vorhaben der Stadtumgestaltung. Die Kirche und das bescheidene Pfarr-Reihenhaus werden wohl kaum unter vierkommafünf Millionen zu haben sein, das Gemeindehaus noch gar nicht gerechnet. Dabei fing alles mal ganz anders an.

Am Anfang war ein Wettbewerb. 1984 wurde von der Bremischen Gesellschaft für Stadterneuerung, Stadtentwicklung und Wohnungsbau mit und wegen finanzieller Unterstützung des Bundes ein sogenannter „städtebaulicher Ideenwettbewerb“ für das dreieckige Grundstück zwischen Salvador-Allende-Straße, Kleine Meinkenstraße und Auf den Häfen ausgeschrieben. Auf dem 800 Quadratmeter kleinen, schwierigen Grundstück wurde nach einem Nutzungskonzept für Wohnungen, Kneipen und Läden gesucht.

Die Juroren — darunter auch Detlef Kniemeyer, der Leiter des Stadtplanungsamtes, der jetzt munter mit für den Kirchenbau eintritt — hatten damals den Vorschlag des Bremer Architekten Jörg Kirschenmann ausgewählt. Doch daraus wurde nichts. Die

Die niedliche Knautsch-Architektur der geplanten Kirche am Remberti-Ring. Vegetarische Schwünge überall, ein Dach wie aus Brotteig: Wenn die Christengemeinde mit dem Bau fertig ist, werden gewiß bald die Schlümpfe einziehen.

So soll Architekten zeichneten noch den Bauantrag (der von der Baugesellschaft zur Genehmigung durch die Behörde auch unterzeichnet wurde), kassierten ein anständiges Honorar...und haben bis heute — Indianerehrenwort! — nichts mehr von dem Projekt und seiner wundersamen Metamorphose gehört.

Warum hier „von oben“ — oder hinterrücks? — die vernünftige und kritische Rekonstruktion des Stadtgrundrisses abgewürgt worden ist, das gehört zu den Mysterien bremischer Politik. Warum wurde und wird nicht zunächst Wohnraum auf stadteigenen Grundstücken geschaffen — zumal in dieser hervorragenden innerstädtischen Lage mit ihrer intakten Infrastruktur (wozu auch die alte Kirche, nur einen Steinwurf entfernt, gehört)?

Bloß wie die Kirche aussieht, hat nichts mit Mysterien zu tun, eher mit „Wollen statt Können“. Der Baukreis der Bremer anthroposophischen Christengemeinschaft um Prof. Walter Emmrich macht naiv und niedlich für ihr Projekt Anleihen bei dem Ideengut der 20er Jahre und dem Geistesriesen Rudolf Steiner. Vorbild ist dessen monumentaler, in der Natur eingebetteter Gebäudekomplex des Goetheanum zu Dornbach. Seinen Epigonen muß man vorhalten, daß ihr Kirchlein aber keinesfalls auf der Waldlichtung steht, nach der es aussieht.

Eine „anthroposophische Gestalt“ an dieser Stelle — was immer das sein mag — ist genau so falsch wie ein Kasten im „internationalen Stil“, weil beides den Ort, die Geschichte des Ortes und

hierhin bitte

die Karikatur

den Maßstab der Umgebung völlig ignoriert und den genius loci vertreibt. Daß das Projekt jetzt so biodynamisch aus der eurythmisch gelockerten Hüfte gekleckert wird, macht es nicht erträglicher. Es wird über Generationen als fragwürdige Scharade, in Stein erstarrt, stehen bleiben. Die Damen und Herren der Gemeinde haben übersehen, daß auch ihr leuchtendes Vorbild Steiner seine sehr vielfältigen architektonischen Ideen immer aus Umgebung und Landschaft bezog.

Da die Glaubensgemeinschaft „um die Pflege des Zusammenhangs wahrer Religion mit den Quellen wahrer Kunst bemüht“ ist, sollte ihr unbedingt geholfen werden — und auch dem Gestaltungs-Chef der Baubehörde, Prof. Gottfried Zantke.

Falls es immer noch nicht klar

geworden ist, hundertmal abschreiben: „Architektur ist eine soziale Verpflichtung für jeden, der beauftragt, entwirft, herstellt oder nutzt und beurteilt; sie stellt unverzichtbare Ansprüche an jeden — sie kann nie alleine auf den Auftraggeber bezogen sein, denn wer für sich ein Innen baut, baut für die Allgemeinheit ein Außen. (Aus einem Thesenpapier des Bund Deutscher Architekten, BDA in Bremen) Kurz: Ihr Schutzpatrone Gottfried und Detlef und Walter, verschont unsere Stadt! urbi

PS: Übrigens ist für den Rembertiring alias „Hundeklo im Nirgendwo“ nach dem taz-Beitrag ein Wettbewerb ausgeschrieben worden. Sollte man nicht erst mal abwarten, bevor nebenan weitergebastelt wird?